August 31, 2008
Psychiatrie heute
ABNORM
=======
Wir steuern geradewegs und blind drauf zu, aber
mit irrwitziger Entschlossenheit:
THE BRAVE NEW WORLD.
Alles was abnormal, abnorm ist, hat in dieser
Gesellschaft keinen Platz, mit Ausnahme von den
Phänomenen, die gerade als Mode-Erscheinung
Aktualität geniessen.
Was sonst nicht der Norm entspricht, muss von der
Gesellschaft entfernt werden, um diese davon zu
bewahren und zu schützen.
Denn, jeder abnorme Mensch birgt eine potenziell
grosse Gefahr - insbesondere wenn er sich verständlich
mitteilen kann und insbesoder wenn das Mitgeteilte
nicht der Norm entspricht.
Es besteht die Gefahr, er könnte andere Mitmenschen
mit seinen Äusserungen "infizieren" und diese so auf
komische Gedanken bringen: sie könnten auch bald
abnorme Menschen werden.
Dies wäre eine endlose Spirale die schon früher, von
Zeit zu Zeit, zu ganz schlimme Folgen brachte.
Ausser der 68er Bewegung gab es da auch viel
zerstörerische abnorme Energien.
Und heute, wo das wirtschaftliche Gleichgewicht, trotz
Globalisierung, so verletzlich und prekär ist wie vielleicht
nie zuvor, möchte man kein Risiko eingehen.
Und man denkt, man könnte es sich gar nicht leisten,
ein solches Risiko einzugehen.
Also wird das Abnorme ab in die psychiatrische Klinik
verfrachtet.
Und dort geht man aus verschiedenen Gründen auf sehr
methodische Weise vor.
Das Abnorme wird zum Pathologischen ernannt und somit
erhält die Institution die Berechtigung, radikale Mittel
einzusetzten.
Nun kann es vielleicht sein, dass 95% der abnormen
Patienten auch eine Pathologie vorweisen.
Aus Effizienz- und Kostengründen, werden alle 100%
als pathologische Fälle behandelt.
Die Überlegung ist Folgende.
Es ist weniger schlimm 5 Menschen so zu behandeln, als
hätten Sie eine Pathologie obwohl dies eventuell nicht der
Fall ist, als auch nur 2 oder 3 Menschen mit einer
Pathologie, ohne die als notwendig gesehenen Massnahmen
wieder zu entlassen.
Bei den 5 ohne Pathologie wird sich alles richten wenn man
dann die Gewissheit hat, es besteht kein Handlungsbedarf oder,
Variante 2, sie werden durch die Behandlung Schäden davon
tragen und dann eine Pathologie vorweisen, was dann wieder
als Bestätigung der Notwendigkeit einer Behandlung benutzt
werden kann.
Und D Oberärzte in der CH sind optimale Kandidaten für die
Pathologisierung abnormer Mitmenschen.
Diese Schweizer reden eh auf eine ganz komische,
fremdartige Weise, da fällt es einfacher nicht den Menschen
hinter dem Patienten zu sehen, wenn man dann sagen kann,
Missverständnisse sind wahrscheinlich durch Kommunikations-
Probleme entstanden.
PFLEGER
=======
Und dann hat es noch die Pfleger. Verschiedene unter Ihnen
meinen es wirklich gut und möchten den Menschen helfen,
die gerade in ihrer Obhut sind. Diese Pfleger sind oft auf
verlorenem Posten und müssen zusehen, dass sie kleine
Erfolge erzielen können, und damit den Patienten ein
Verständnis für die Abläufe in dieser Industrie vermitteln.
2 Arten von Pflegern tun mir Leid.
Der erste ist der, der es für notwendig hält, einen extra
Eintrag in der Krankengeschichte zu schreiben, weil ich
morgens, bei der täglichen Medikamentenausgabe meine
Kopfhörer anhabe, Musik höre und nicht, wie sonst jeden
einzelnen verdammten Morgen zuvor, mich mit einem
Lächeln bedanke, dass er oh seinen Job macht!
Dieser Pfleger tut mir Leid, aber als Mensch!
Ich verstehe nicht was er in einer psychiatrischen Klinik
glaubt, verloren zu haben, wenn er schon wegen einer
Höflichkeits-Floskel aus dem Gleichgewicht kommt.
Naja... hoffe du stehst nicht kurz vor dem Burn-Out!
Der zweite ist der, der mit mir Sonntags morgen um 9 Uhr
über Gott und die Welt spricht, am Frühstückstisch.
Über den Dalai-Lama, über die Würdigung der Kunst
des Toreros trotz der Gewissheit, niemals einen Stierkampf
miterleben zu wollen.
Er lehnt mir ein Buch aus, mit dem Titel "Im Anfang war der
Wasserstoff", denn wir sind beide zum Schluss gekommen,
dass der menschliche Geist nicht vom Himmel gefallen,
sondern Teil einer intelligenten Natur ist.
Er fragt mich, was ich von einem anderen,
gerade erschienen Buch halte, der für einmal die Geschichte
aus der Sicht der Täter erzählt, bei einem historischen Ereignis,
der bis heute nur aus der Sicht der Opfer erzählt wurde.
Dieser Pfleger tut mir Leid, aber ich würde ihn so gerne mit
nach Hause nehmen und mit ihm das ganze Wochenende reden
können.
Er sagte mir: "Psychiatrische Pflege ist in meinen Augen
keine Wissenschaft, sondern eine Kunst".
Ich liebe seine Einstellung und finde sie etwas vom Schönsten,
das ich in dieser Institution begegnet bin.
Doch er tut mir Leid weil Kunst hier so wenig Anerkennung
bekommt...
Aber ich bin sicher, es gibt regelmässig "Patienten", die solche
Gespräche und Unterstützung sehr zu schätzen wissen.