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March 28, 2021

unser aller Odysee

 
Niemand ist mehr Sklave,
als der sich für frei hält,
ohne es zu sein.

Johann Wolfgang von Goethe




Ein, wie ich finde, fanstastischer kurzer Animations-Film, über Mensch und Gesellschaft, ein Film der, dessen bin ich mir bewusst, niemals den Geschmack der Mehrheit treffen wird, dennoch aber in seinen Aussagen so schonungslos gut ist, dass ich ihn dennoch empfehlen möchte:



IN•SHADOW

A Modern Odyssey




Ich mag ihn wegen seiner Ästhetik und seinem Sound, aber vor allem weil er den Mut hat, diesen absolut, zwar überspitzten aber dennoch schonungslos ehrlichen Blick auf unsere Gesellschaft, auf unser aller Leben und dem sogenannten "Täglichen Kampf", in dem wir uns irgendwie befinden, darzustellen. Ein Blick der den Mut hat, etwas völlig hoffnunglos oder absolut hässlich zu nennen, wenn es völlig hoffnungslos oder absolut hässlich ist.
Ich mag diesen Film aus denselben Gründen, aus denen ich
ein Buch wie

"Brave New World"
von Aldous Huxley

oder ein Film wie

"Brazil"
von Terry Gilliam

regelrecht geliebt habe.
Ich ging damals davon aus, dass diese Werke eine Antizipierung dessen darstellen sollten, was der Menschheit drohe, wenn sie sich nicht in Acht nehmen würde, wenn sie nicht der Frage der Sinnhaftigkeit des Lebens eine befriedigende Antwort zu geben in der Lage gewesen wäre. Ich liebte diese Werke aus der falschen Annahme, sie würden den Zweck erfüllen, die Menschen auf schonungslose Weise über Risiken der Entfremdung aufmerksam zu machen. Leider habe ich in der Zwischenzeit auf schmerzhafte Weise lernen müssen, dass viele dieser dystopischen Werke nicht aus der humanistischen Perspektive erschaffen wurden, aus der ich sie aufnahm und verstand, sondern viel mehr aus dem genauen Gegenteil meiner Position heraus, aus dem Wissen darüber, es wären Kräfte am Werke, welche die Gesellschaft genau in diese Richtung vor sich her treiben.

Dieses zu erfahren, zu verstehen und zu verinnerlichen ist keine leichte Aufgabe gewesen, denn sie stellt einen Menschen vor einer ganzen Reihe ganz ernsthafter Probleme: angefangen mit kognitiven Dissonanzen über die erhaltene Bildung, einer grosszahl von Institutionen und Informationskanäle, der Trennung zwischen Tätern und Mitläufern, usw. usw. bis hin zum Problem, dass man augenblicklich noch ein Leben führt, einen Alltag und einen Beruf hat, die auf das alte Weltbild basieren und die daraus heraus zustande gekommen sind, und weder die Existenz, noch der Alltag oder die soziale Einbindung sollten unnötig zerstört werden, was aber einfacher gesagt als getan ist. Man muss in der Lage sein, sein altes Leben nicht zu zerstören, während man sich daran macht, ein neues entstehen zu lassen, hoffentlich auf organische Weise. Man muss herauszufinden, wie dieses neue Leben auszusehen hat, damit es einem selbst nicht nur erträglich, sondern auch gerecht werden kann.



All diese Gründe machen es auch so schwierig, Freunde und Bekannte in die neu erlangten Erkenntnisse einzuweihen. Und genau aus diesen Gründen glaube ich aber auch, dass derartige Werke hilfreich sein können. Die unglaubliche visuelle Zuspitzung negativer Eigenschaften in diesem Film können Gefühle einem künstlerischen Ausdruck verleihen, die man irgendwo selbst hat und nicht zu artikulieren in der Lage ist. Gefühle eines Unbehagens über Aspekte unserer Gesellschaft, welche wir gelernt haben zu ignorieren und verdrängen; Oder wir haben gelernt, wurden dazu konditioniert, sie einfach für gegeben und alternativlos zu betrachten. Unbehagen üder diese Gesellschaft lernt uns die Gesellschaft selbst zu negieren. Aus diesem Grund kann schon mal ein Film wie "In-Shadow" hilfreich sein, um einen Menschen dabei zu helfen, sich mit gewissen Themen auseinanderzusetzen, die er sonst vermieden hätte. Ein Buch wie "Brave New World" oder "1984" von George Orwell können uns auch dabei helfen, mit Bekannten und Freunden Themen anzusprechen, die wir nicht auf direkte Weise, mit Bezug auf unser Alltag ansprechen könnten. Wenn man zuerst eine generische, abstrakte Diskussion darüber führt, ob man den einen oder anderen Aspekt gesellschaftlicher Entwicklungen für wünschenswert oder überhaupt für tolerierbar hält, kann es einfacher sein, konkrete Aspekte unserer Gegenwart mit den zuvor genannten Prinzipien und Grenzen zu vergleichen, die im Laufe der Unterhaltung zum Vorschein gekommen sind.

Natürlich kann ich auch bei diesem Film, ohne irgendwelche Recherchen gemacht zu haben, keineswegs die Garantie abgeben, dass er mit guten Absichten gemacht wurde und dass es Ziel der Künstler gewesen ist, wirklich nicht wünschenswerte gesellschaftliche Entwicklungen zu thematisieren, ohne den Zuschauer vor einer erdrückenden Wand der Hilflosigkeit zu hinterlassen, eine auch schon nur aus der schieren Zahl der aufgenommenen Themen sich ergebenden Wand. Diese Garantie kann ich nicht angeben, dennoch gibt es ausreichend viele Details, die darauf hindeuten könnten, dass der Film mit guten Absichten gemacht worden sein könnte. Doch, wie auch immer dies sein mag, die Frage ist immer, was man selbst aus einem Werk macht und was man diesem Werk gestattet, mit einem selbst zu machen.

Dystopien sind deshalb so wertvoll, weil sie uns einen Spiegel bieten, in denen wir uns entweder bewusst wiedererkennen können um dann die Möglichkeit zu haben, etwas dagegen zu unternehmen, oder wir können so tun, als wären wir wer Besseres, denen so etwas niemals geschehen könnte: die Geschichte hat uns leider ganz offensichtlich gezeigt, dass diese Annahme immer wieder falsch gewesen ist und die überhebliche und unbegründete Vorstellung, selbst und mit der eigenen Gesellschaft keineswegs in Gefahr zu stehen, in einer Dystopie zu enden, verantwortungslos ist.



Im Gegensatz zu den 2 oben genannten Werken, sind diese hier aus ehrlichen Gründen erschaffen worden (und nicht im Wissen irgendwelcher geheimer Informationen über geheime und aus dem Schatten wirkende Kräfte): der nach 30 Jahren noch immer
fantastische Film

"Koyannisqatsi"

von Godfrey Reggio
und Musik von Philip Glass

und die gesamte

"Qatsi-Trilogie"

(Koyannisqatsi, Powaqqatsi und Naqoyqatsi)

sowie der in der selben Tradition stehende und genauso fantastische Film

"HOME"

von Yann Arthus-Bertrand,
von Luc Besson mitproduziert

sind meiner bescheidenen Meinung nach allesamt Meisterwerke in Sachen Ästhetik, Gesellschaftskritik und Weltanschauung. Über die Gründe, weshalb diese Filme gedreht wurden und die Botschaften, die sie transportieren, liefert Wikipedia wirklich interessante Informationen.



Wir haben das Glück, uns in einem Zeitalter zu befinden, in dem Information frei verfügbar und einfach zu verbreiten ist, was inzwischen auch für Information wahr ist, die bis heute für Tausenden von Jahren der grossen Bevölkerung vorenthalten wurde. Da wir in diesem speziellen Zeitalter leben, bin ich der Meinung, sollten wir einige Dinge tun:

a) den Mut haben zu erkennen, was alles und wie sehr sich Dinge in unserer Gesellschaft falsch entwickelt haben, auf eine Art die nicht unseren Vorstellungen und Aspirationen entspricht

b) dafür sorgen, dass, beginnend im Kleinen, im eigenen Umfeld, diese Entwicklungen mindestens gebremst und, wo möglich, aufgehalten werden

c) uns ansehen, was uns an Wissen vorenthalten wurde und wenn möglich auch weshalb

d) uns dieses Wissen aneignen und die Tore wieder aufstossen, die man uns zuerst verschlossen und später, als wir sie vergessen hatten, vor uns versteckt gehalten und verheimlicht hat




Hier also der Animationsfilm "In-Shadow", mit Musik von "Starward Projections". Der Film ist dermassen schell und gleichzeitig so vielschichtig, dass es fast unmöglich ist, beim ersten und einzigen Betrachten, alle angesprochenen Themen und alle Implikationen wahrzunehmen. Wer es also ertragen kann ist womöglich gut beraten, sich den Film einigen Male anzusehen... Doch dies ist nur meine bescheidene Meinung.



IN-SHADOW  ==  A Modern Odyssey
[13’Min. 00”Sec.]





Mit den Punkt c) und d) oben meinte ich, in diesem Zusammenhang, besonders die letzten paar Szenen des Films und mein vorheriger Post "Aufklärung oder Obskurantismus", in dem es genau darum ging! Es ist wirklich empfehlenswert diesen Post zu lesen und den Film darin anzusehen, nachdem man sich diesen Film zu Mute getan hat, denn, so banal dies auch klingen mag, darin könnte einer vieler verschiedener Schlüssel liegen, die es unserer Gesellschaft ermöglichen könnten, zu heilen und sich aus der Selbstversklavung zu befreien.

Doch der Film bietet eine unglaubliche Fülle an Themen, an denen unsere Gesellschaft erkrankt ist, von Big Pharma über Ernährung und Medien, Leistungsdruck und Bildung, Korruption oder den militärischen Industriekomplex, usw. Die Szene zum Beispiel, in der man die Chakras des Baby sieht, die dann durch Impfungen zum Verschwinden gebracht werden: an dieser Szene könnte viel mehr dran sein, als es zuerst einmal den Anschein machen könnte. Ein regelrechtes Feuerwerk an Krankheitssymptomen, die uns da serviert wird... Aber zum Schluss, wie gesagt, eine positive Note und ein Grund zur Hoffnung.


Film-Webseite: https://www.inshadow.net/



Die perfekte Ergänzung zu diesem Film ist dieser Beitrag von Greg Reese, der Bilder des Films benutzt, um uns von dem Krieg um unser Bewusstsein zu erzählen, der sich schon seit den Zeiten der Sumärer hinzieht.



The War Against Consciousness and the Ultimate Answer for Liberation
[3’Min. 44”Sec.]



https://freeworldnews.tv/watch?id=61168ed631700f4df9936f0c




Wir holen uns das Narrativ zurück.
 
 

October 06, 2010

von Büchern und Engeln

 
Die Unendliche Geschichte“ von Michael Ende ist eines der ersten grossen „Brocken“ von denen ich mich erinnern kann, sie in den Händen gehabt zu haben. Es las sich wirklich — genauso wie es dem Helden ergeht — fast von allein. Jahre später ist die Verfilmung eine kleine Katastrophe für mich gewesen, in verschiedener Hinsicht. Zum einen wurde da eine wunderbare Erzählung zu einem Irgendwas verstümmelt und ein gewisses Enthusiasmus und Vertrauen in das Medium Film wurde mir genommen — wenn sich aus solch genialem Material und den (damals) modernsten Techniken nur dieses „Muppet Show“ mit dem pelzigen weissen Riesenwurm machen liess, dann taugte Kino nicht weit. Mein Vertrauen sollte zum Glück mit dem meisterhaften Film „Brazil“ von Terry Gilliam wieder mehr als hergestellt werden, doch dies ist eine andere Geschichte, über einen visionären Regisseur. Zum anderen war dies der genaue Zeitpunkt des definitiven und nicht verzeihbaren künstlerischen Tods meines Idols David Bowie. Bis dahin war seine Arbeit immer uninteressanter und enttäuschender geworden, doch nach dieser Rolle war er für mich ein geschlossenes Kapitel. Später sollte er sich, was die künstlerische Integrität betrifft, durch unorthodoxe Entstehungsmethoden seiner Stücke wieder rehabilitieren, doch die Musik hat mich nie mehr richtig angesprochen. Heute finde ich auch keinen Zugang mehr zu seiner früheren Arbeit, doch auch dies ist eine andere Geschichte.


Das Buch von Ende und „Der Herr der Ringe“ von J. R. R. Tolkien (zum Glück auch vor der Kino-Version gelesen, obwohl diese Filme schon als gut zu bezeichnen sind) sind meine frühen Fantasy-Wegweiser gewesen. Doch wirklich geprägt hat mich dann ein ganz anderer Stil der sich sehr wohl auch der Fantasie bedient, diese aber dazu nützt um in Bildern das menschliche Dasein zu beschreiben mit seinen Ängsten, seinen Schmerzen, seinen Sehnsüchte, das stetige Warten, ja sogar Unsinn oder gar Wahnsinn von Institutionen und menschlichem „sich einfügen“. „Il deserto dei Tartari“ von Dino Buzzati ist ein Geschenk meiner Italienisch-Professorin gewesen. Seine Kurz-Geschichten übten auch eine sehr spezielle und morbide Faszination auf mich — sie waren magisch und entfremdend. Mit ihm kam auch das Interesse an eine bestimmte Art der Literatur und so faszinierte mich zum Beispiel über lange Zeit die geballte Ladung an Weltschmerz und Horror von Kafka und den verschiedenen Russen. Solche Lektüre fesselte mich, natürlich, zu einer Zeit zu der auch mein Unbehagen immer grösser wurde und sich meine Schwierigkeiten mit dem Mensch sein immer offensichtlicher manifestierten. Irgendwann begann also die Suche nach einem anderen Sinn und einem anderen Inhalt, den ich meinem Leben hätte geben können: Da baten sich Gandhi, Kahlil Gibran, Krishnamurti und viele andere bestens dazu.

Bild von Veronika Grauby


Auf der anderen Seite gab es da aber auch Jack Kerouac oder Charles Bukowski, Carlos Castaneda und andere, die irgendwie zeigten, dass das Leben auf viele verschiedene Arten gelebt werden kann. Die einen erfolgreicher als die andern, diese vielleicht nachahmenswerter als die andern. Dennoch gibt es diese Autoren der „Selbsterfahrung“, die unsere moderne Gesellschaft auf den Kopf stellen und ihren eigenen Weg darin selbst zu suchen beginnen.

Hermann Hesse ist eine nicht grosse Quelle an Lektüre gewesen, doch auch er eine sehr prägende. Eigentlich ist kein Schriftsteller eine grosse Quelle für mich gewesen: Von keinem habe ich mehr als ein paar Werke gelesen. Ich bin auch nie gewesen was man einen „Bücherwurm“ bezeichnen könnte. Jedenfalls, mit seinem Buch „Siddhartha“, hat Hesse doch unzähligen Menschen einen Zugang zu fernöstlicher Kultur erlaubt — ich erinnere mich wie sehr viele meiner Jugend-Bekannten aus dem katholischen und nicht unbedingt die Sprache Deutsch liebenden Italien mit Begeisterung dieses Buch gelesen haben. Er faszinierte mich auch als Mann: Irgendwie war ich ziemlich beeindruckt von diesem Lebens-Künstler der zu uns in den Süden zog, um seiner Vorstellung eines guten Lebens näher zu kommen, vor allem aber von seiner Vielseitigkeit. Ich versuchte mir vorzustellen, welche unglaubliche Lebenserfahrung Hesse gehabt haben muss um einerseits „Siddhartha“ und auf der anderen Seite ein Buch wie „Der Steppenwolf“ zu schreiben. Wie konnte man das Leben von Buddha in einem solch wunderschönen Roman wiedergeben und zugleich bis ins kleinste Detail die Zerrissenheit eines Steppenwolfs erzählen? Hesse musste diesen beiden Charakteren, in all ihren diametral gegensätzlichen Unterschiede, sehr nahe gewesen sein. Und das musste man, in meinen Augen, zuerst einmal hinbringen — und dazu noch ein grandioser Schriftsteller sein!

Autor unbekannt


Nietzsche und viele andere sind Versuche gewesen, auf einer Suche nach etwas, das ich nicht definieren konnte und das ich bei ihnen nur beschränkt finden konnte. Ein Etwas, das schon sehr früh zu gedeihen begonnen hatte. Ich erinnere mich wie mein Lehrer in der Primarschule mit uns „Die Legende vom heiligen Trinker“ von Joseph Roth las und wie dieses Buch eine Saite in mir zum schwingen brach. Ein echter Glücksfall, dieser Lehrer, der aber das beste was er uns Kindern vermitteln konnte auch teuer bezahlen sollte, im damaligen Tessin. Aber dies ist eine andere Geschichte, die ich gerne ein ander Mal erzählen werde.

Dann waren da die Südamerikaner, mit ihrer Leidenschaft und unmittelbaren Art das Leben zu gestalten. Ganz besonders ein Buch hat mir den Zugang zu diesem Kontinent ermöglicht, der mir vorher immer irgendwie fremd, chaotisch und als undurchdringlich erschien (ist für mich das Leben immer eine Suche nach dem „Werden“ gewesen, so ist Leben dort meistens ganz einfach „Sein“): „Der Krieg am Ende der Welt“ von Mario Vargas Llosa. Eine fantastische Geschichte mit fantastischen Charakteren, eine Hymne an das Einzigartige eines jeden Menschen, mit inbegriffen die Verdammten und Verlorenen dieser Welt. Eine Huldigung des Seins, jedes Seins, und des Rechts und Willens zu sein.

Später kam ich zu Paulo Coelho der mir seine Sicht auf das Leben geschenkt hat (zum Beispiel mit der Geschichte des Hirtenjungen, der losging um seiner Bestimmung zu folgen, in „Der Alchimist“) und der mit seinen Romanen eine Saite in Millionen von Menschen zum schwingen bringt. Ausserdem habe ich im letzten Jahr „Sakrileg“ von Dan Brown gelesen der (wie das Leben so spielt) in „Das Magdalena Evangelium“ von Kathleen McGowan die für mich beste der möglichen Fortsetzungen gefunden hat. Wie bei einzelnen anderen Büchern auch, habe ich das Gefühl dieses Buch hätte faktisch zu mir gefunden — obwohl genau dieser Sachverhalt in genau diesem Buch beschrieben wird, ist es dennoch eine Tatsache, dass ich dieses Gefühl gehabt habe, sowohl als ich es zum ersten Mal in den Händen hielt wie auch immer wieder später. Bei der Lektüre erinnerte ich mich daran, dass meine Mutter schon vor mehr als 20 Jahre erzählte wie Jesus bestimmt auch Frauen unter seinen engsten Vertrauten hatte. Und wie er ziemlich sicher auch eine Gefährtin hatte. Ja, meine Mutter und — besonders — mein Grossvater haben mir schon vor vielen Jahren Dinge vermittelt die ich erst Einiges später einzuschätzen und zu schätzen lernen sollte.

Henryk Fantazos: Circus Ecclesia


Meine Mutter hat mir übrigens vor einiger Zeit gesagt, sie fände „Die Wahlverwandtschaften“ von Goethe eines der besten von ihr gelesenen Bücher. Ich werde es mir irgendwann zur Hand nehmen.

Kurzer Nachtrag
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Ich habe in der Zwischenzeit das Buch gelesen, und gehe davon aus, dass meine Mutter nicht meinte, dies sei das beste von ihr gelesene Buch — ich bin mir absolut sicher, dass meine Mutter schon viele viel bessere Bücher gelesen hat. Meiner Meinung nach, meinte sie nicht so sehr das Buch und dessen Geschichte, sondern nur dessen Titel, und dass es bei ihrer Aussage mehr darum ging, mir ein dialektisches Gedankenspiel mitzuteilen. Doch dies ist nur eine Vermutung von mir.


Weshalb kam ich überhaupt zu dieser Auflistung von Titeln? Die Lektüre ist die vieler meiner Altersgenossen. Was suchte ich, aber? Was suche ich? Um an den Song von Lucio Dalla anzuknüpfen „Se io fossi un angelo“ und dessen Behauptung darin, Millionen von Engeln würden unter den Armen und Vergessenen dieser Welt weilen, muss ich bemerken wie ich zu einem etwas anderen Schluss gekommen bin, was die Verteilung von Engeln unter den Menschen betrifft. Ich bin nämlich der Meinung, dass die meisten Neugeborenen als eine Art Engel bezeichnet werden können. Aus den verschiedensten Gründen (auch prenatalen), wird ihnen das Engelhafte im Lauf der nächsten Jahre abhanden kommen. Durch die Unvollkommenheit der Eltern wird ihnen Ballast mit auf die Reise ins Leben gegeben. Je nach Eltern und je nach Begabungen des Neulings, wird es dann um mehr oder um weniger Ballast gehen. Ballast, der die jungen Lebewesen Teil des Wahnsinns werden lässt, den wir unsere Welt nennen. Und so geben wir von einer Generation zur Nächste diese Hypothek weiter, natürlich ohne es zu wollen und oft ohne es überhaupt zu bemerken. Diese Unvollkommenheit ist eigentlich nichts anderes als das Fehlen von „Werkzeugen“, von Erfahrung und Weisheit, die uns erlauben würden dieses Leben im grösstmöglichen Masse als eigenständige Menschen auf ihrem Weg zur Erkenntnis zu bestreiten. Und so kommt es, dass wir als Menschheit Tag für Tag Engel auf unserem Weg lassen, die dann notdürftig ihr Leben „ableben“. Einige wenige dieser Engel retten sich aber in das erwachsene Alter hinüber und können dort ihrem Werk nachgehen, welcher Art dieses auch sein mag. So zum Beispiel der Professor der pädiatrischen Chirurgie, der meinen Sohn in Genf operiert hat. Doch dies ist eine andere Geschichte, die ich gerne ein anderes Mal erzählen würde.

Bild von Veronika Grauby


Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass ziemlich jeder Mensch eigentlich die Sensibilität und das Empfinden dafür hat, um zu realisieren dass in unserer Welt etwas schief läuft. Jeder von uns versucht sein Leben lang das Beste draus zu machen. Doch, was wir für „das Beste“ halten, hängt davon ab, was die Summe von dem was wir gelernt haben und was uns vererbt wurde ist, also von dem was wir kennen. Wie viele Menschen fühlen sich unwohl, merken wie etwas nicht stimmt, würden gerne etwas an ihrem Leben ändern. Doch wie oft wissen sie dann gar nicht womit sie überhaupt beginnen könnten, ihr Leben zu verändern? Ratgeber in der Buchhandlung können in vielen Bereichen des Lebens helfen, doch einem Jeden einen tieferen Sinn fürs Leben finden? Eher nicht. Die allgemeine Täuschung, der wir unterliegen, wie sie in fernöstlichen Religionen beschrieben wird, lässt sich natürlich nicht einfach abschütteln, besonders wenn wir ihr mit den uns schon bekannten und vererbten Methoden versuchen bei Leibe zu rücken. Doch... Mag diese Aufgabe noch so schwierig sein und vielleicht mehrere Anläufe benötigen: Nach all den Büchern über den Weltschmerz und nach so vielen Autoren die uns vorhergesagt haben, wie unsere Geschichte als Menschheit enden könnte — siehe in der Sci-Fi Abteilung deiner Videothek oder eben „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley — sollten wir uns vielleicht wirklich langsam überlegen, ob dies die Richtung ist, in der wir gehen möchten. Und wenn man beachtet in welchem Jahr Huxley sein visionäres Buch geschrieben hat, dann können wir uns von älteren Menschen erzählen lassen, wie viel davon schon Realität geworden ist obwohl es damals als absolute Fantasie und Horror-Vision galt.

Meinerseits bin ich immer noch auf der Suche nach dem Etwas, das diese Saite in mir zum schwingen bringt. Ich hoffe es eines Tages in mir, meinem Denken, meinem Handeln und meinen Lieben finden zu dürfen, ausser natürlich weiterhin in Musik, Kunst und Literatur. Demnächst werde ich „Eine neue Erde“ (lustiger Titel, wenn als Gegensatz zu „Schöne neue Welt“ betrachtet) von Eckhart Tolle lesen. Ich habe grosse Erwartungen an dieses Buch, denn es verspricht auch sehr viel: Behauptet man doch, es könnte eines der Werkzeuge sein, die uns dabei helfen könnten, weniger Engel auf dem Wege des Lebens zu verlieren. Gesehen und ausgewählt habe ich das Buch schon vor einer ganzen Weile, doch alles hat seine Zeit. Das erste Dutzend Seiten lässt jedenfalls Gutes erhoffen. So scheint es wirklich das Thema zu behandeln das mich zur Zeit interessiert und es scheint die Dinge per Namen zu nennen, basierend auf breit gestreuter Kenntnis und offenem Geiste. Ich hoffe wirklich, mir danach aus lauter Enttäuschung den nächsten Bukowski zu schnappen, was mir oft genug in der Vergangenheit geschah, wenn hohe Erwartungen (ganz generell, nicht nur in Bezug auf Literatur) nicht erfüllt wurden. Ich werde mich überraschen lassen, dennoch in der vielleicht riskanten Hoffnung einen würdigen Nachfolger auf „Das Magdalena Evangelium“ gefunden zu haben.

Bild von Taras Loboda

 
 

December 12, 2009

(Über-) Fülle

 
Alles geben die Götter, die unendlichen,
Ihren Lieblingen ganz,
Alle Freuden, die unendlichen,
Alle Schmerzen, die unendlichen, ganz.

J.W. von Goethe