July 13, 2010

morgen-fresse und abfall

 
Wie hatte es begonnen? Ja... In der Hosentasche der Jungen Dame klimpern Münze in Hülle und Fülle, auf dem Weg in die Caféteria — wo sie Abfall treffen wird — bittet sie mich um Geld, ich antworte
Ich glaube jetzt nicht, dass du so kommst...!
Natürlich war eine Pflegerin da, die alles mitbekam. Die Junge Dame schnappt sich das Geld und verlässt, sichtlich verstört, die Station.

Ein ander Mal erzählt sie mir, wie sie in Geldnot sei. Während ich ihr 20 Franken in die Hand drücke, sagt sie mit gequältem Gesicht
Aber es kann doch auch nicht sein, dass du mir immer Geld gibst!
Ich denke mir schon, dass hier mehr dahinter steckt als die puren Fakten, die Ereignisse, doch ich denke mir auch, fälschlicherweise, das kann alles nur halb so wild und folgenschwer sein.

Und dann... dann wird's brutaler. Nach dem sie ein Weekend lang einfach wie vom Erdboden verschluckt war, treffe ich sie und man könnte denken, es sei gar nichts passiert. Wenn ich aber erzähle, ich hätte mir Sorgen gemacht, dann ist das wiederum völlig nachvollziehbar für sie. Das ganze kommt mir immer spanischer vor, als sie dann am Freitag einen Termin mit ihrer Therapeutin in der Harten Klinik hat. Jedenfalls, ist sie Samstag und Sonntag wieder verschwunden. Jetzt habe ich die Schnauzte voll: Verarschen kann ich mich selbst! Da bin ich sogar sehr gut drin und habe lebenslange Erfahrung. Und dann noch ein knappes Jahrzehnt Spezial-Training mit meiner Ex-Frau...

Also rufe ich die Junge Dame an. Sage ihr, dieser Kindergarten könne mir gestohlen bleiben. Um sie zu den Tatsachen zurück zu rütteln, sage ich ihr ich würde zurück zu meiner Ex-Frau gehen. Natürlich weiss sie genau so gut wie ich, dass dies eine leere Drohung ist und dass ich für nichts auf der Welt zurück zu meiner Ex-Frau würde. Es sollte nur eine Parallele darstellen, zu dem was sie gerade mit Abfall vorgibt zu tun.

Pippa, du... du... ach lassen wir das... Hier habe ich eine Frage an dich. Einzig wegen deinem Satz
Es geht darum, Verantwortung zu übernehmen
bin ich wieder zurück in die Sitzung mit Doktor Y, an dem Abend an dem er mich wieder auf die Akut-Station verfrachtet. Wenn du nicht so heuchlerisch getan hättest, als würde dir etwas an meinem Wohlergehen liegen, wenn du nicht so perfid getan hättest, als wäre auch nur der kleinste professionelle Grund hinter Doktor Y's Handeln, wenn es nicht wegen dir gewesen wäre, hätte ich nicht der Versetzung zugestimmt. Jetzt kannst du mir doch endlich sagen, wer welche Verantwortung übernehmen sollte, damals. Oder? Du dumme Nuss — das musste jetzt doch noch sein!. Sollte ich die Verantwortung übernehmen, den Satz ausgesprochen zu haben, ich würde wieder zu meiner Ex-Frau zurück? Oder wie? Oder was? Wieso kommt mir gerade der Satz meiner Mutter in den Sinn?
Ich würde dich am liebsten aufblasen und verhopsen!

Jedenfalls... Komisch ist auch, dass ich auf der Psychotherapie-Station noch mit keiner Menschenseele über die Junge Frau gesprochen habe bis zu diesem Zeitpunkt, aber dennoch, als ich am Montag bei der ersten Gruppe schon nur sage (ohne Details zu nennen) ich hätte vielleicht über das Wochenende ein klein wenig überreagiert, schütteln schon alle Pfleger kräftig ihren Kopf rauf und runter, meine Worte bestätigend. Wie kann das sein? Woher wissen die denn wann ich wie mit wem überreagiert haben soll? Also weiss man genau, was ich die ganze Zeit sage und tue. So ist das also...?

Für die Junge Dame, wie für mich, nimmt der Albtraum kein Ende. So treffe ich sie doch einige Male auf dem Bus nach Zürich, mit ihrem Abfall zusammen und schwere Einkaufstüten schleppend, während er in aller Ruhe an seinem Bier schlürft und seine Hand gefährlich nahe an ihre Arschbacken bringt — an diesem Tag hat Joe ernsthaft riskiert, mit einer Hand weniger nach Hause zu kommen, wo auch immer sein Zuhause gewesen sein mag.

Ja, denn da war noch die Geschichte mit seiner Unterkunft... Ohne Job und ohne ein Tropfen Selbstachtung, übernachtete er anscheinend bei der Jungen Dame, in der Wohngruppe (nicht deswegen ohne Selbstachtung). Oder so. Einmal traf ich ihn zusammen mit einem anderen Typen, der anscheinend Wohnung in Kloten zu vermitteln wusste. Und sie sind in Kloten ausgestiegen.

Da gab es auch das eine Mal, als ich am Sonntagmorgen, gegen 8 oder 9 Uhr, zum Kiosk lief und plötzlich die Junge Dame traf, die in den Bus stieg. Also... Wenn sie zu besuch war ist es etwas komisch, dass sie schon so früh wieder geht... Nein, eher nicht... Wenn sie in der Klinik übernachtet hat, ist es eher komisch dass dies in völliger Geheimhaltung passierte, obwohl dann eine solche Begegnung wieder möglich war... Also... Irgendwie nicht ganz "natürlich" und nachvollziehbar, diese Sonntagmorgentliche Begegnung...

Aber dies ist noch nichts... Viel früher, da waren wir einmal auf der Akut-Station. Abfall lauerte angeblich irgendwo vor der Klinik, er soll im Wald übernachtet haben um in der Nähe der Junge Dame sein zu können. Weil er psychisch instabil war und völlig besoffen, konnte ihn die Junge Dame überzeugen sich einweisen zu lassen. Oder so. Oder wieder anders. Ein Haufen Blödsinn, jedenfalls... Tatsache ist aber, dass das Handy der Jungen Dame ohne Guthaben war. Ich bot ihr an, mit meinem Handy anzurufen. So kam es, dass sie mit meinem Handy Joe anrief, sich bei ihm entschuldigte für irgendwie irgendwas (obwohl wer sich hier entschuldigen sollte, beginnen wir langsam zu verstehen) und wieder auflegte. Ich werde nie vergessen, wie die Junge Dame aufstand und beim Weglaufen sagte
Ich muss ein schrecklicher Mensch gewesen sein, irgendwann früher!
Ich denke es muss ihr klar gewesen sein, dass sie mit diesem Anruf irgendwas auslösen würde, dass ihr so gar nicht passte.

Behind Blue Eyes #3 by Polineisa

Doch verkauft hatte man ihr, dass nicht sie sondern ich nach all diesen grausamen Taten gefragt haben soll. Ich habe ihr das Handy angeboten, also muss ich die Verantwortung dafür übernehmen, in die Geschichte mit reingezogen zu werden. Praktisch jeder Scheiss der mir wiederfuhr, wurde von mir so... wie soll ich sagen... magisch angezogen... Oder verflucht. Verfluchte Scheisse!!! Das ging so weit, dass die Junge Dame einmal etwas sagte, von jemandem der noch nicht genug hatte und noch mehr wollte und deswegen würde sie vielleicht nun nach Schaffhausen gehen damit dieser jemand genug bekommen würde. Oder so. Ich weiss nicht mehr ob es damals um Ratten, psychiatrische Kliniken, ex-Partner, Ärzte, oder sonst was ging.

Ich soll also nicht genug gehabt haben und immer und immer mehr auf den Kopf wollen? Und sie soll ein schrecklicher Mensch gewesen sein?

Pippa, du alte dumme fette Nuss, du verfluchte mit gespaltener Zunge sprechende Schlange! Ist das so? Hatte ich nie genug? War sie ein schrecklicher Mensch? Pippa, du verfluchte falsche Sau! Ist das so?

Ich möchte dich noch etwas fragen. Dich, Lady Merdamale, die Kampf-Lesbe (wie sie von den Patienten genannt wurde) und die "Therapeutin" der Jungen Dame. Wenn du einen neuen Verehrer hast, machst du da jedes Mal den "Morgen-Fresse-Test"? Muss jeder neue Kandidat auf eine Beziehung zuerst einmal deiner Gestalt ohne Schminke begegnen, wie du aus dem Bett gestiegen bist? Ist Lady Merdamale so zum Schluss gekommen, dass dieser Typ * auch in ihr Bett hüpfen darf? Weil er nicht mit Heulkrämpfe davon gelaufen ist, als er zum ersten Mal sah, wie sie nach der ersten Nacht ausgesehen hätte? Nicht?

* Dieser Typ: Siehe auch den Post "Bilder tauchen auf"


Das verstehe ich jetzt nicht ganz... Wieso wurde die Junge Dame von euch dann gezwungen, eines schönen Morgens vor mir zu stehen, ohne Schminke an ihren schönen Augen und an ihren Lippen? Wieso verlangt ihr sowas von ihr, wenn ihr selbst das nicht praktiziert, in eurem privaten Leben? Was soll dies jetzt bewiesen haben? Wozu soll das gut sein? Wieso kommt ihr überhaupt auf solch unglaublich dämlichen Ideen? Ich sage euch wieso: Weil ihr völlig durchgeknallte Tussis seid (ausser der Kampf-Lesbe: die ist eine völlig durchgeknallte Kampf-Lesbe), durch ihren Wahn die Nuss auf ihren Schultern nicht mehr erkennend. Deshalb!


Nein, meine Heldin. Du bist nie und nimmer ein schrecklicher Mensch gewesen. Ganz im Gegenteil: Hätte es mehr Menschen wie dich, wäre diese Welt ein besserer Ort. Du bist ein ganz spezieller und sensibler Mensch, doch auch mutig und entschlossen. Du bist ein reines Herz, das seinen Weg verloren hatte. Und dieser Umweg hat uns aber wiederum einen gemeinsamen Weg ermöglicht. Vielleicht waren wir also gar nie so verloren. Aber wer weiss das schon? Das ist reine Hypothese. Tatsache ist: Du bist ein guter Mensch, und ich kann mir nicht vorstellen wie dies je hätte anders sein können.

Und... mit oder ohne Schminke: Du bist meine Heldin.
It won't put me down, to see you without make-up.

Bild: Mahira Ateş
 

July 11, 2010

vernunft

 
Irgendwann, während einem Gespräch, sagte Max von der Bundespolizei mal etwas von "Vernunft", von vernünftig sein oder eben nicht sein. Ich unterbrach ihn mitten im Satz und sagte

It's better to regret something you have done,
then to regret something you haven't done.

Er fügte vielleicht ein "Oder so" hinzu...


Vernunft...
Es kann sehr gut sein, dass Menschen die in den letzen Jahren mitbekommen haben was ich alles getan habe und was mit mir so alles getan wurde, mein Handeln als äussert unvernünftig betrachtet haben, immer wieder. Mag sein. Es würde mich nicht überraschen wenn ich zum Beispiel, als mich Doktor Y von der Psychotherapie- auf die Akut-Station schickte, einfach nur gut drauf hätte sein müssen, um ihm jeglichen Wind gegen mich aus den Segeln zu nehmen.

Dies bezüglich hatte mir auch die Junge Dame einen Tipp gegeben. Sie erzählte mir wie sie Joe Abfall begleitete um sich einen schwarzen Anzug zu besorgen, für die Beerdigungen seiner Mutter und Schwester — wir erinnern uns: diese hatten sich kurz nacheinander beide das Leben genommen, oder so. Jedenfalls sagte mir die Junge Dame, Joe Abfall würde gar keinen schwarzen Anzug besitzen. Und da ihr die Wahnärzte Eifersucht für Trauer verkauft hatten, ging sie davon aus ich würde fühlen wie es keinen Grund zur Trauer gibt, also zur Eifersucht ihr gegenüber.

Bei der Jungen Dame würde ich nur Eifersucht kennen, wenn sie dies bezwecken würde. Und wieso sollte sie das? Ich habe schon Frauen kennengelernt, die das von einigen Frauen leider extrem gut beherrschte Spiel spielen, den Mann eifersüchtig zu machen und ihn dazu bringen, Dummheiten zu begehen. Sie machen das, wenn sie die Beziehung beenden möchten und dafür nicht grade stehen wollen. Sie sind dann Meisterinnen darin sind, sich zum Opfer zu machen und die Schuld für das Ende der Beziehung auf den Mann fallen zu lassen. Dies ist grausam und destruktiv, es ist äusserst schmerzhaft für alle Beteiligten. Es ist die reine Unvernunft, lässt die Frau aber im Trugschein der Vernunft erscheinen. Die Junge Dame gehört nicht zu den Frauen, die so vorgehen würden.

Aber zurück zur Trauer des Joe Abfalls, zurück zu meiner vermeintlichen Trauer, zu diesem schwarzen Anzug den Joe nicht hatte: Es war nicht Eifersucht. Es war Unglaube daran, dass man einen Oberarzt in der Harten Klinik so viel Wahn in die Welt setzen lässt. Und damit sogar noch seine Patienten zur Schnecke machen! Schnecke, die übrigens die Junge Dame gern hatte, der Zeichnung auf ihrem Block nach zu beurteilen, als ich sie mal in der Caféteria traf. Aber dies ist ein anderer Kapitel der selben Geschichte...


Vernunft... Ich, von meiner Seite aus, denke immer so vernünftig wie möglich gehandelt zu haben. Wo ich ans Äusserste gegangen bin, war es nur aus dem einfachen Grund, nicht mit Gewissheit davon ausgehen zu können, dass was um mir herum geschah auch mit rechten Dingen zuging. Wenn ich eine Scheibe in der Akut-Station zerschlagen habe, dann nur weil ich völlig fertig gemacht wurde und mir nicht sicher war, ob jemals Gerechtigkeit geschaffen worden wäre. Also musste ich auf eine drastische Situation eine drastische Antwort haben. Oder eine neue drastische Frage: Weshalb?

Vernunft... Es kann gut sein, hätte ich diese Scheibe nie zerbrochen, hätte ich mich nicht runterziehen lassen, wären die Wahnärzte wie die Idioten da gestanden. Doch mich nicht runterziehen zu lassen, das lag nicht in meiner Hand. Dies ist nicht etwas, was ich mit Vernunft oder Unvernunft hätte beeinflussen können. Dies ist mir einfach wiederfahren. Dies wurde mir mit Absicht angetan, von den Wahnärzten. Also sollten sie sich auch dafür verantworten müssen. Dies ist meine ganze Unvernunft gewesen.

Bild: Rafal Olbinski

Meine ganze Unvernunft ist es gewesen zu merken, dass ich das Hamster im Rad bin, um dann zu versuchen aus dem Rad auszubrechen. Als das nicht ging, versuchte ich zumindest die Menschen um mich herum dazu zu gestehen, dass ich in einem Rad am laufen war, obwohl mir die Wahnärzte glauben machen wollten,
"I walk on a trail, with no end in sight".

Denn, unvernünftig, das wäre gewesen, den jungen Pfleger zu schlagen, den sie geschickt hatten um mich anzugreifen, auf der Akut-Station. Doch diese Genugtuung habe ich ihnen nicht gegeben, auch wenn sie sie gewollt und hart herausgefordert hatten. So gewollt und so hart, dass mir Max eines Tages, auf "Besuch" in der Akut-Station sagte, es könne sein dass ich soweit kommen würde, jemanden hier schlagen zu wollen. "Das darfst du nicht!"

Ich darf nicht? Ich will auch nicht! Wieso aber bringt man mich immer wieder, gewollt und gezielt, in die Lage mir dies zu wünschen?

Der junge Pfleger hat mich vor meinem Sohn angegriffen und Partei gegen mich ergriffen. Ich habe nur noch Rot gesehen (Rot, im schwarzen Anzug!), bin zu ihm hin, habe meine Nase 2 cm vor seine platziert und habe begonnen zu schreien, ob er denn völlig bescheuert sei oder nicht mehr alle Tassen im Schrank habe. Ich glaube, ein wenig mulmig ist ihm schon geworden, eine Sekunde lang. Doch die Pfleger haben ja dieses schöne Stück Technik immer bei sich, womit sie dich jederzeit in die Gummizelle stecken und dir ein paar Spritzen in den Arsch verpassen können. Also, für mich ist die Lage, wenn sie sich zuspitze, natürlich immer viel heikler gewesen, als für irgendwen sonst in dieser Klinik.

Doch die Welt endet nicht an den Toren der Klinik. Nicht einmal eine Landesgrenze gibt es dort — obwohl Lanzy, Doktor NO und Doktor Y fest daran glauben. Doch dieses Glaube werden wir ihnen noch austreiben. Denn es ist unvernünftig. Mehr als unvernünftig: ungesetzlich. Und unmoralisch. Und unvernünftig.

Und bei all dem, was sich diese Wahnärzte mit der Jungen Dame und mir geleistet haben — und bei wer weiss wie viel anderen Menschen sonst noch — wäre es absolut vernünftig, ihnen ihren Wahn mit der Peitsche auszutreiben. Oder auf dem Scheiterhaufen. Oder so.

July 09, 2010

der Park im Süden

 
Es ist schon hart heutzutage, wo alles im Überfluss vorhanden ist. Wir werden dermassen von Informationen überschüttet Tag für Tag, dass wir gar nicht mehr die Kraft und Aufmerksamkeit haben können, diese zu filtern und zu verarbeiten, das Wichtige hervorzuheben und auf uns einwirken zu lassen. Es ist ein homogenisierter Brei, so wie alles heute homogenisiert wird. Zum Beispiel die Milch: Ich hörte, dies könnte einer der Gründe sein, weswegen die menschliche Rasse immer mehr an Allergien leidet, bis hin zur Lichtunverträglichkeit. Aber zurück zu den Informationen. Satire ist seit je eine wichtige Komponente des Soziallebens, politische Satire wurde auch von den grossen Mächten und von vielen Despoten benutzt (das Dritte Reich machte von Satire einen regen und durchdachten Gebrauch), und natürlich wurde sie genauso gegen diese Mächte und diese Despoten benützt. The Great Dictator von Charlie Chaplin ist ein Meisterwerk, hat er diesen schon für sich exzellenten Film noch zu einer Zeit gedreht, in der sich niemand traute Hitler zu thematisieren, geschweige denn ihn ins Lächerliche zu ziehen. Zuvor, ja, und auch später; doch zu diesem Zeitpunkt war Chaplin der einzige, der sich der so schwierigen Aufgabe widmete, Hitler ins Lächerliche zu ziehen, ohne dabei weder seine Opfer noch den Krieg allgemein zu wenig ernst zu nehmen.






Heute ist es einfacher Satire zu produzieren und sie an den Mann zu bringen, es ist inzwischen jedoch viel schwieriger geworden, diese wirken zu lassen und mit ihr vielleicht etwas auszulösen. So bin ich immer wieder verblüfft, wie intelligent und scharfsinnig, genau auf den Punkt gebracht, soziale Kritik in der Serie South Park geäussert wird. Ein wunderbares Beispiel dafür ist die Episode mit der HIV-Erkrankung der jungen Hauptfiguren und der darauf folgenden Entdeckung einer Heilmethode. Das Rezept lautet: Man nehme Dollarscheine für einen Wert von mehreren Zehntausend Dollar und stecke sie in einen Shaker, man mixe das Ganze und injiziert dann den so gewonnenen "Saft" intravenös in das kranke Subjekt.

Alle freuen sich enorm über diese Entdeckung, viel Leiden und Schmerz können so erspart bleiben. Ein Weisser begibt sich auf Reisen um die frohe Botschaft zu verkünden und fährt mit seinem Jeep zu den Einwohnern von Strohhütten in den Bush. Er kommt an, steigt aus und schreit, man habe endlich ein Heilmittel gegen HIV gefunden. Die Leute zeigen überhaupt keine Reaktion. Der Weisse zögert... "Freut euch!" und fährt weiter.

Dies ist schärfste, knallharte Satire. South Park gegen oft bis und immer wieder über die Schmerzensgrenze. Genau wie unsere Gesellschaft. Und was ist mit solch kompromissloser Kritik an diese Gesellschaft? Sie wird in einem Cartoon auf MTV verpackt und füllt unser Abendprogramm, unter der Sparte Unterhaltung...

So weit ist es gekommen. So weit sind wir gekommen. Die unverblümte Darstellung von Missstände in unserer Welt kann heute mehrere Milliarden Menschen erreichen, jederzeit. Doch sie ist zur Unterhaltung verkommen. Und das Tragische daran ist nicht, dass es eine Serie wie South Park gibt, welche krass mit der Schmerzgrenze umgeht. Das Tragische ist, dass sich die Macher solcher Satire inzwischen in der Sparte Unterhaltung bewegen müssen, um uns überhaupt noch irgendwie erreichen zu können. Nein... nicht einmal dies ist tragisch. Vielleicht ist es tragisch, dass um einen Platz im Abendprogramm zu finden, die Sendung auch voller Geschmackslosigkeiten sein muss: Fürtze, Schimpfwörter, Beleidigungen, politisch unkorrekter Aussagen sein muss? Nein... nicht einmal dies ist tragisch. Tragisch ist, dass man es gar nicht mehr wahrnimmt, dass es als "Blödsinn" abgetan wird. Und bei South Park macht man meisterhaften Blödsinn, meiner Ansicht nach.



Nicht alles was als Blödsinn daherkommt, ist deswegen auch Blöde.
 

June 28, 2010

stell dir vor...

 
Stell dir vor...

Du hast einen Job, du hast diesen Job wollen und hast viel, sehr viel gegeben. Du wolltest sehr viel geben, denn du hattest den Job wollen. Nun ist dir bewusst geworden, dass du in Zukunft nicht zufrieden sein wirst, dass du dich nicht realisieren wirst, dass du immer mehr enttäuscht und verbittert sein wirst, dass du irgendwann nicht mehr die Kraft haben wirst und ein gebrochener Mann sein wirst, wenn du den Job nicht wechselst.

Doch du weisst absolut nicht, was für einen Job überhaupt der Richtige für dich sein könnte, zu diesem Zeitpunkt in deinem Leben. Also gehst du zur Karriereberatung für eine Standort-Bestimmung, zum Headhunter um den Arbeitsmarkt und deine Chancen zu sondieren, zum Therapeuten um Privates von Professionellen möglichst getrennte zu halten (dort wo es getrennt bleiben sollte). Du gehst also zu diesen verschiedenen Menschen und alle verstehen deine Lage, können sie nachvollziehen, haben schon verschiedene Male ähnliche Fälle gehabt. Alle helfen dir und unterstützen dich, ihrem Aufgabenbereich entsprechend.

Beim der Karriereberatung ergibt sich ein Gespräch, gerade zu Beginn des dritten Termins: Etwas Smalltalk mit Bezug auf die deine aktuelle Lage. Du erzählst wie zuvor, im Café wo du gewesen bist als du gewartet hast dass es Zeit für den Termin wurde, war neben dir ein Paar, was gerade Streit hatte.
Plötzlich schreit der Mann die Frau an: "Und ich werde meinen Job verlassen, ob es dir gefällt oder nicht. Du kannst mich doch nicht zwingen, dort weiter zu arbeiten nur weil du es für wichtig empfindest. Ob ich dabei Kaputt gehe, interessiert dich nicht im Geringsten!" Die Frau versucht zu argumentieren, es sei völlig unfair, was der Mann behaupte. Natürlich würde ihr mehr als alles daran liegen, dass er glücklich sein könne. Und gerade deswegen meinte sie nur, er solle doch darüber schlafen, bevor er kündigen würde. Schliesslich behauptete der Mann bis gestern, den besten Job auf der ganzen weiten Welt zu haben. Unvermittelt spuckt der Mann die Frau an, um dann fluchend das Café zu verlassen. Die Frau bleibt zurück, fassungslos und völlig aufgelöst. Ihr ist klar, dass alle Anwesenden das Geschehene mitbekommen hatten. Dennoch ist sie in der Lage nicht in voller Panik zu flüchten und so ihrer Scham zu unterlegen. Sie geht auf die Toilette, wo sie sich Gesicht und Bluse wäscht und kommt dann mit Tränen im Gesicht zurück in das Lokal. Sie setzt sich wieder neben dir und nippt an ihrer Coca-Cola.

Du wendest dich ihr zu und sagst, es würde dir so sehr leidtun, was ihr gerade passierte. Falls du irgendwie helfen kannst, soll sie es dir ruhig sagen: Du wärst mehr als froh, ihr deine Unterstützung anzubieten. Du sagst ihr auch, dass du dich nicht einmischen wolltest doch es war für dich völlig klar, dass wenn der Mann auch noch handgreiflich oder weiterhin gespuckt hätte, du eingegriffen hättest und ihr geholfen hätte, den Typen loszuwerden. Sie dankt dir, ein trauriges Lächeln im Gesicht.

Dann erzählst du von deinem Gespräch mit einem Kollegen, wobei es eben um deine weitere Karriere ging, um deine vermeintliche Midlife-Crisis, um die Breite der Palette an Möglichkeiten, die dir in diesem Alter noch im professionellen Leben bieten können.

Danach, verbringst du die Zeit bei der Karriereberatung auf üblicher Weise und ihr arbeitet an den verschiedenen Aufgaben.

Am Tag darauf gehst du aus dem Haus, in Richtung Arbeit. Du bist gerade erst auf dem Gehweg vor deinem Zuhause als ein Passant, der dir entgegen kommt, beim Vorbeilaufen auf dich spuckt! Ohne Vorwarnung. Ohne offensichtlichen Grund... Du bist dir ziemlich sicher: Du hast diesen Typen niemals zuvor gesehen. Als du überhaupt realisiert hast, was da geschehen ist, ist der Typ schon ausser Reichweite. Du drehst dich um, schaust nach ihm, er hat sich auch umgedreht und eure Blicke treffen sich. Augenblicklich beginnt er zu rennen. Er geht um die Ecke, am Ende des Blocks und, als du dort ankommst, ist er verschwunden. Kein Passant in Sicht, weit und breit.

Kurz darauf, immer noch auf dem Weg zur Arbeit, wirst du wieder angespuckt. Diesmal von einem anderen Menschen. Es gelingt dir, ihn am Kragen zu packen und ihn zur Rede zu stellen. Er flucht und schreit und entschuldigt sich und schreit und flucht und versucht zu erklären sein Touret-Syndrom sei schuld und flucht und entschuldigt sich und spuckt und flucht. Dir bleibt nichts anderes übrig, als ihn ziehen zu lassen.

Am Abend, beim Ausgang mit Arbeitskollegen, kommt einer von ihnen ins Gespräch mit einem Typ, an der Theke der Bar wo ihr euch gerade befindet. Weil der Typ so betont laut redet, bekommst du zusammen mit den anderen Kollegen mit, wie er erzählt von einem Typen der bei ihnen in der Firma rein gar nichts an Dankbarkeit empfinde und schlecht über Job und Kollegen sprechen würde, die ganze Mannschaft in den Dreck ziehen würde, sich einen neuen Job suchen würde, dem Chef in den Rücken gefallen sei. Schlimm sei dieser Typ, ganz ganz schlimm...

Tags darauf kommt der Chef zu dir und fragt dich ob du einen Job am suchen seist. Du fragst dich, wie um alles in der Welt er davon erfahren konnte, wo du mit keinem Menschen ausser den 3 Ansprechpersonen bis heute darüber gesprochen hattest. Der Chef ist echt sauer, er ist mehr als sauer, er kocht vor Wut. Du sollst die schlimmsten Dinge über Unternehmen und Kollegen gesagt haben, du sollst über jeden einzelnen in der Firma hergezogen sein. Du versucht dein Bestes um die Situation zu klären, auch weil es dir wichtig ist dass Chef und Kolleg wissen, dass du wirklich mehr als Dankbar bist für die gemeinsam verbrachte Zeit. Du möchtest ihnen alle klar machen, dass deine Suche nach einem neuen Horizont rein gar nichts mit ihnen zu tun habe, oder mit der Firma oder dem Job. Du sagst es liegt einzig an dir und du seist einfach an einem Punkt angekommen, an dem du eine Veränderung bräuchtest. Du müsstest jetzt deinen Kompass wieder justieren, solange es überhaupt noch Zeit habe dafür. Als du am Abend dich auf den Heimweg machst, hast du nicht die blasseste Ahnung darüber, ob dir Chef und Kollegen nun geglaubt haben oder nicht. Du hattest immer ein Gefühl für sowas und konntest dich eigentlich immer auf dein Gefühl verlassen. Doch nun... Nichts am Bildschirm. Rein gar nichts...

Auf dem Weg nach Hause bespuckt man dich wieder. Wieder ein Mensch den du niemals zuvor gesehen hast. Diesmal eine Frau.

Jon Beinart: Naked Ladies In My Beard

Es geht nun seit einigen Wochen so. Jeder der Menschen, die dich angegriffen haben oder die offensichtlich in ihren Gesprächen Bezug zu deiner Geschichte genommen hatten, jeder von ihnen hatte eine andere Erklärung oder Entschuldigung bereit. So unwahrscheinlich und surreal all diese Häufung von Ereignissen auch zu scheinen mag, die einzelnen Menschen kannst du nicht annageln, denn jeder behauptet nicht im Geringsten zu wissen wovon du sprichst, wenn du sie mit deinen Vorwürfen konfrontierst.

Leider bist du einmal handgreiflich geworden, gegenüber einem Typen der dich bespuckt hatte. Er zeigte dich bei der Polizei an und du bist drangekommen, wegen einfacher Körperverletzung. Sein spucken wurde auch gemahnt, war aber einzig ein Bagatellfall. Nichts wofür sich Polizei oder Justiz je ernsthaft interessieren würde.

Als du bei der Polizei versucht hast, die Ereignisse die dich zu diesem Ausraster gebracht hatten, zu schildern, hast du dich einzig und alleine noch viel Unglaubwürdiger gemacht als es schon zuvor der Fall war. Schliesslich hattest du einen Menschen ins Gesicht geschlagen und ihn verletzt. Und nun wolltest du ihn auch noch beschuldigen, bei einem Komplott oder sonst einer doch eher wahnhaft tönenden Geschichte mitzumachen. Die Polizisten schickten dich nach Hause und sagten dabei, du könntest dich als Glückspilz betrachten, wenn sie dich nicht in die Psychiatrie verfrachten liessen. Und sie sagten dir, dies würde aber auf jeden Fall geschehen, wenn du noch ein einziges Mal in einer solchen Geschichte verwickelt wärst.

Auf dem Heimweg von der Polizei wirst du 3 Mal bespuckt. Und, als du noch schnell einkehrst um einen Kaffee zu trinken, erzählt dir der Mann an der Bar, wie er nach 20 Jahren im Service nun Job wechseln würde. Er wissen nur noch nicht, ob er zum Geheimdienst oder als Direktor einer psychiatrischen Anstalt arbeiten wolle. Er würde es sich noch überlegen. Und seine Frau meinte aber, er solle doch eher nach Brasilien gehen und dort nach Gold schürfen. Sie habe von einer Kollegin den todsicheren Tipp, wo man damit zum Multimillionär werden könne. Aber, weisst du was? Er spucke auf seine Frau. Psychiatrie oder Geheimdienst. Das würde er tun. Ah... oder vielleicht noch Direktor einer der grössten europäischen Fluglinien. Mal sehen.

Du überlegst dir gerade ihn zu packen, à la Pulp Fiction in den Keller zu verfrachten, und ihm nun die Wahrheit aus dem Leibe zu prügeln. Wieso erzählt er ausgerechnet dir diese Geschichte? Wieso mit diesen Details? Aber du weisst genau, dass er für jede Behauptung eine Erklärung bereit hätte. Du weisst, du wirst auf der ganzen weiten Welt niemanden finden, der dich offenkündig die Geschichte abnehmen würde. Du weist... du bist am Arsch...

Und übrigens: Der Karriereberater, dem du das Gesprächsstoff geliefert hattest, hatte sich ab dem Tag nach eurem Treffen wie in Luft aufgelöst. Du bist nicht einmal mehr in der Lage gewesen, jemanden zu finden der auch nur bestätigen würde, dieser Typ mit diesem Namen habe in diesem Gebäude sein Studio gehabt. Man könnte meinen, den Typ habe es niemals gegeben. Hier nicht, im ganzen Land nicht, in ganz Europa nicht, ja sogar im Internet hat es ihn nie gegeben.

Jon Beinart: Want A Shiny Black Balloon?


Jetzt möchte ich dich etwas fragen: Hast du dir das alles irgendwie vorstellen können? Ja? Glaubst verstanden zu haben, in welcher albtraummässigen Situation du dich befinden würdest, sollte diese Horror-Geschichte eines Tages deine Realität werden? Ja?

Nun... Dann hast du jetzt vielleicht einen kleinen Bruchteil von dem verstanden, was mir IN und die ganze lange Zeit NACH der Harten Klinik zugestossen ist! Einen Bruchteil...!

Wie meinst du?
Die Ärzte der Klinik?
Nein...
DIE HABEN DOCH NICHTS DAMIT ZU TUN.
Sag mal, spinnst du?
Wie sollen die auch etwas mit dem zu tun haben, was mir nach Austritt aus der Harten Klinik geschehen ist?
BIST DU ETWA EIN KLEIN WENIG WAHNHAFT?
Oder so?