October 06, 2010

von Büchern und Engeln

 
Die Unendliche Geschichte“ von Michael Ende ist eines der ersten grossen „Brocken“ von denen ich mich erinnern kann, sie in den Händen gehabt zu haben. Es las sich wirklich — genauso wie es dem Helden ergeht — fast von allein. Jahre später ist die Verfilmung eine kleine Katastrophe für mich gewesen, in verschiedener Hinsicht. Zum einen wurde da eine wunderbare Erzählung zu einem Irgendwas verstümmelt und ein gewisses Enthusiasmus und Vertrauen in das Medium Film wurde mir genommen — wenn sich aus solch genialem Material und den (damals) modernsten Techniken nur dieses „Muppet Show“ mit dem pelzigen weissen Riesenwurm machen liess, dann taugte Kino nicht weit. Mein Vertrauen sollte zum Glück mit dem meisterhaften Film „Brazil“ von Terry Gilliam wieder mehr als hergestellt werden, doch dies ist eine andere Geschichte, über einen visionären Regisseur. Zum anderen war dies der genaue Zeitpunkt des definitiven und nicht verzeihbaren künstlerischen Tods meines Idols David Bowie. Bis dahin war seine Arbeit immer uninteressanter und enttäuschender geworden, doch nach dieser Rolle war er für mich ein geschlossenes Kapitel. Später sollte er sich, was die künstlerische Integrität betrifft, durch unorthodoxe Entstehungsmethoden seiner Stücke wieder rehabilitieren, doch die Musik hat mich nie mehr richtig angesprochen. Heute finde ich auch keinen Zugang mehr zu seiner früheren Arbeit, doch auch dies ist eine andere Geschichte.


Das Buch von Ende und „Der Herr der Ringe“ von J. R. R. Tolkien (zum Glück auch vor der Kino-Version gelesen, obwohl diese Filme schon als gut zu bezeichnen sind) sind meine frühen Fantasy-Wegweiser gewesen. Doch wirklich geprägt hat mich dann ein ganz anderer Stil der sich sehr wohl auch der Fantasie bedient, diese aber dazu nützt um in Bildern das menschliche Dasein zu beschreiben mit seinen Ängsten, seinen Schmerzen, seinen Sehnsüchte, das stetige Warten, ja sogar Unsinn oder gar Wahnsinn von Institutionen und menschlichem „sich einfügen“. „Il deserto dei Tartari“ von Dino Buzzati ist ein Geschenk meiner Italienisch-Professorin gewesen. Seine Kurz-Geschichten übten auch eine sehr spezielle und morbide Faszination auf mich — sie waren magisch und entfremdend. Mit ihm kam auch das Interesse an eine bestimmte Art der Literatur und so faszinierte mich zum Beispiel über lange Zeit die geballte Ladung an Weltschmerz und Horror von Kafka und den verschiedenen Russen. Solche Lektüre fesselte mich, natürlich, zu einer Zeit zu der auch mein Unbehagen immer grösser wurde und sich meine Schwierigkeiten mit dem Mensch sein immer offensichtlicher manifestierten. Irgendwann begann also die Suche nach einem anderen Sinn und einem anderen Inhalt, den ich meinem Leben hätte geben können: Da baten sich Gandhi, Kahlil Gibran, Krishnamurti und viele andere bestens dazu.

Bild von Veronika Grauby


Auf der anderen Seite gab es da aber auch Jack Kerouac oder Charles Bukowski, Carlos Castaneda und andere, die irgendwie zeigten, dass das Leben auf viele verschiedene Arten gelebt werden kann. Die einen erfolgreicher als die andern, diese vielleicht nachahmenswerter als die andern. Dennoch gibt es diese Autoren der „Selbsterfahrung“, die unsere moderne Gesellschaft auf den Kopf stellen und ihren eigenen Weg darin selbst zu suchen beginnen.

Hermann Hesse ist eine nicht grosse Quelle an Lektüre gewesen, doch auch er eine sehr prägende. Eigentlich ist kein Schriftsteller eine grosse Quelle für mich gewesen: Von keinem habe ich mehr als ein paar Werke gelesen. Ich bin auch nie gewesen was man einen „Bücherwurm“ bezeichnen könnte. Jedenfalls, mit seinem Buch „Siddhartha“, hat Hesse doch unzähligen Menschen einen Zugang zu fernöstlicher Kultur erlaubt — ich erinnere mich wie sehr viele meiner Jugend-Bekannten aus dem katholischen und nicht unbedingt die Sprache Deutsch liebenden Italien mit Begeisterung dieses Buch gelesen haben. Er faszinierte mich auch als Mann: Irgendwie war ich ziemlich beeindruckt von diesem Lebens-Künstler der zu uns in den Süden zog, um seiner Vorstellung eines guten Lebens näher zu kommen, vor allem aber von seiner Vielseitigkeit. Ich versuchte mir vorzustellen, welche unglaubliche Lebenserfahrung Hesse gehabt haben muss um einerseits „Siddhartha“ und auf der anderen Seite ein Buch wie „Der Steppenwolf“ zu schreiben. Wie konnte man das Leben von Buddha in einem solch wunderschönen Roman wiedergeben und zugleich bis ins kleinste Detail die Zerrissenheit eines Steppenwolfs erzählen? Hesse musste diesen beiden Charakteren, in all ihren diametral gegensätzlichen Unterschiede, sehr nahe gewesen sein. Und das musste man, in meinen Augen, zuerst einmal hinbringen — und dazu noch ein grandioser Schriftsteller sein!

Autor unbekannt


Nietzsche und viele andere sind Versuche gewesen, auf einer Suche nach etwas, das ich nicht definieren konnte und das ich bei ihnen nur beschränkt finden konnte. Ein Etwas, das schon sehr früh zu gedeihen begonnen hatte. Ich erinnere mich wie mein Lehrer in der Primarschule mit uns „Die Legende vom heiligen Trinker“ von Joseph Roth las und wie dieses Buch eine Saite in mir zum schwingen brach. Ein echter Glücksfall, dieser Lehrer, der aber das beste was er uns Kindern vermitteln konnte auch teuer bezahlen sollte, im damaligen Tessin. Aber dies ist eine andere Geschichte, die ich gerne ein ander Mal erzählen werde.

Dann waren da die Südamerikaner, mit ihrer Leidenschaft und unmittelbaren Art das Leben zu gestalten. Ganz besonders ein Buch hat mir den Zugang zu diesem Kontinent ermöglicht, der mir vorher immer irgendwie fremd, chaotisch und als undurchdringlich erschien (ist für mich das Leben immer eine Suche nach dem „Werden“ gewesen, so ist Leben dort meistens ganz einfach „Sein“): „Der Krieg am Ende der Welt“ von Mario Vargas Llosa. Eine fantastische Geschichte mit fantastischen Charakteren, eine Hymne an das Einzigartige eines jeden Menschen, mit inbegriffen die Verdammten und Verlorenen dieser Welt. Eine Huldigung des Seins, jedes Seins, und des Rechts und Willens zu sein.

Später kam ich zu Paulo Coelho der mir seine Sicht auf das Leben geschenkt hat (zum Beispiel mit der Geschichte des Hirtenjungen, der losging um seiner Bestimmung zu folgen, in „Der Alchimist“) und der mit seinen Romanen eine Saite in Millionen von Menschen zum schwingen bringt. Ausserdem habe ich im letzten Jahr „Sakrileg“ von Dan Brown gelesen der (wie das Leben so spielt) in „Das Magdalena Evangelium“ von Kathleen McGowan die für mich beste der möglichen Fortsetzungen gefunden hat. Wie bei einzelnen anderen Büchern auch, habe ich das Gefühl dieses Buch hätte faktisch zu mir gefunden — obwohl genau dieser Sachverhalt in genau diesem Buch beschrieben wird, ist es dennoch eine Tatsache, dass ich dieses Gefühl gehabt habe, sowohl als ich es zum ersten Mal in den Händen hielt wie auch immer wieder später. Bei der Lektüre erinnerte ich mich daran, dass meine Mutter schon vor mehr als 20 Jahre erzählte wie Jesus bestimmt auch Frauen unter seinen engsten Vertrauten hatte. Und wie er ziemlich sicher auch eine Gefährtin hatte. Ja, meine Mutter und — besonders — mein Grossvater haben mir schon vor vielen Jahren Dinge vermittelt die ich erst Einiges später einzuschätzen und zu schätzen lernen sollte.

Henryk Fantazos: Circus Ecclesia


Meine Mutter hat mir übrigens vor einiger Zeit gesagt, sie fände „Die Wahlverwandtschaften“ von Goethe eines der besten von ihr gelesenen Bücher. Ich werde es mir irgendwann zur Hand nehmen.

Kurzer Nachtrag
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Ich habe in der Zwischenzeit das Buch gelesen, und gehe davon aus, dass meine Mutter nicht meinte, dies sei das beste von ihr gelesene Buch — ich bin mir absolut sicher, dass meine Mutter schon viele viel bessere Bücher gelesen hat. Meiner Meinung nach, meinte sie nicht so sehr das Buch und dessen Geschichte, sondern nur dessen Titel, und dass es bei ihrer Aussage mehr darum ging, mir ein dialektisches Gedankenspiel mitzuteilen. Doch dies ist nur eine Vermutung von mir.


Weshalb kam ich überhaupt zu dieser Auflistung von Titeln? Die Lektüre ist die vieler meiner Altersgenossen. Was suchte ich, aber? Was suche ich? Um an den Song von Lucio Dalla anzuknüpfen „Se io fossi un angelo“ und dessen Behauptung darin, Millionen von Engeln würden unter den Armen und Vergessenen dieser Welt weilen, muss ich bemerken wie ich zu einem etwas anderen Schluss gekommen bin, was die Verteilung von Engeln unter den Menschen betrifft. Ich bin nämlich der Meinung, dass die meisten Neugeborenen als eine Art Engel bezeichnet werden können. Aus den verschiedensten Gründen (auch prenatalen), wird ihnen das Engelhafte im Lauf der nächsten Jahre abhanden kommen. Durch die Unvollkommenheit der Eltern wird ihnen Ballast mit auf die Reise ins Leben gegeben. Je nach Eltern und je nach Begabungen des Neulings, wird es dann um mehr oder um weniger Ballast gehen. Ballast, der die jungen Lebewesen Teil des Wahnsinns werden lässt, den wir unsere Welt nennen. Und so geben wir von einer Generation zur Nächste diese Hypothek weiter, natürlich ohne es zu wollen und oft ohne es überhaupt zu bemerken. Diese Unvollkommenheit ist eigentlich nichts anderes als das Fehlen von „Werkzeugen“, von Erfahrung und Weisheit, die uns erlauben würden dieses Leben im grösstmöglichen Masse als eigenständige Menschen auf ihrem Weg zur Erkenntnis zu bestreiten. Und so kommt es, dass wir als Menschheit Tag für Tag Engel auf unserem Weg lassen, die dann notdürftig ihr Leben „ableben“. Einige wenige dieser Engel retten sich aber in das erwachsene Alter hinüber und können dort ihrem Werk nachgehen, welcher Art dieses auch sein mag. So zum Beispiel der Professor der pädiatrischen Chirurgie, der meinen Sohn in Genf operiert hat. Doch dies ist eine andere Geschichte, die ich gerne ein anderes Mal erzählen würde.

Bild von Veronika Grauby


Ich bin immer mehr davon überzeugt, dass ziemlich jeder Mensch eigentlich die Sensibilität und das Empfinden dafür hat, um zu realisieren dass in unserer Welt etwas schief läuft. Jeder von uns versucht sein Leben lang das Beste draus zu machen. Doch, was wir für „das Beste“ halten, hängt davon ab, was die Summe von dem was wir gelernt haben und was uns vererbt wurde ist, also von dem was wir kennen. Wie viele Menschen fühlen sich unwohl, merken wie etwas nicht stimmt, würden gerne etwas an ihrem Leben ändern. Doch wie oft wissen sie dann gar nicht womit sie überhaupt beginnen könnten, ihr Leben zu verändern? Ratgeber in der Buchhandlung können in vielen Bereichen des Lebens helfen, doch einem Jeden einen tieferen Sinn fürs Leben finden? Eher nicht. Die allgemeine Täuschung, der wir unterliegen, wie sie in fernöstlichen Religionen beschrieben wird, lässt sich natürlich nicht einfach abschütteln, besonders wenn wir ihr mit den uns schon bekannten und vererbten Methoden versuchen bei Leibe zu rücken. Doch... Mag diese Aufgabe noch so schwierig sein und vielleicht mehrere Anläufe benötigen: Nach all den Büchern über den Weltschmerz und nach so vielen Autoren die uns vorhergesagt haben, wie unsere Geschichte als Menschheit enden könnte — siehe in der Sci-Fi Abteilung deiner Videothek oder eben „Schöne neue Welt“ von Aldous Huxley — sollten wir uns vielleicht wirklich langsam überlegen, ob dies die Richtung ist, in der wir gehen möchten. Und wenn man beachtet in welchem Jahr Huxley sein visionäres Buch geschrieben hat, dann können wir uns von älteren Menschen erzählen lassen, wie viel davon schon Realität geworden ist obwohl es damals als absolute Fantasie und Horror-Vision galt.

Meinerseits bin ich immer noch auf der Suche nach dem Etwas, das diese Saite in mir zum schwingen bringt. Ich hoffe es eines Tages in mir, meinem Denken, meinem Handeln und meinen Lieben finden zu dürfen, ausser natürlich weiterhin in Musik, Kunst und Literatur. Demnächst werde ich „Eine neue Erde“ (lustiger Titel, wenn als Gegensatz zu „Schöne neue Welt“ betrachtet) von Eckhart Tolle lesen. Ich habe grosse Erwartungen an dieses Buch, denn es verspricht auch sehr viel: Behauptet man doch, es könnte eines der Werkzeuge sein, die uns dabei helfen könnten, weniger Engel auf dem Wege des Lebens zu verlieren. Gesehen und ausgewählt habe ich das Buch schon vor einer ganzen Weile, doch alles hat seine Zeit. Das erste Dutzend Seiten lässt jedenfalls Gutes erhoffen. So scheint es wirklich das Thema zu behandeln das mich zur Zeit interessiert und es scheint die Dinge per Namen zu nennen, basierend auf breit gestreuter Kenntnis und offenem Geiste. Ich hoffe wirklich, mir danach aus lauter Enttäuschung den nächsten Bukowski zu schnappen, was mir oft genug in der Vergangenheit geschah, wenn hohe Erwartungen (ganz generell, nicht nur in Bezug auf Literatur) nicht erfüllt wurden. Ich werde mich überraschen lassen, dennoch in der vielleicht riskanten Hoffnung einen würdigen Nachfolger auf „Das Magdalena Evangelium“ gefunden zu haben.

Bild von Taras Loboda

 
 

October 05, 2010

Feuer und Flamme

 
 
Ich bin Feuer und Flamme.
Unter anderem für dich.

Autor unbekannt



Ich bin Wasser und Fluss.
Unter anderem dank dir.

Giovanni Auriemma: Acquarius



Oder vielleicht...
bist du Fluss
und ich Wasser.

Bild: wisdom_pk@hotmail.com



Oder sonst wie...

Feuer  ==  Jan Delay

In allen Ecken hocken Menschen,
Mit einem riesengroßen Schlauch
Sie wollen dein Feuer löschen
Und darum lauern sie dir auf
Die einen feiern nur das Gestern
Und spritzen mit Vergangenheit
Andre meinen Kohle wirkt noch besser
Und sprühen Euros in die Flammen rein

Also pass auf!
Denn das Wichtigste ist,
Dass das Feuer nicht aufhört zu brennen
Denn sonst wird es ganz bitterlich kalt
Ja, die Flammen I'm Herzen,
Die sind durch nichts zu ersetzen
Darum halt sie am Laufen mit aller Gewalt!!
(Feuer, Feuer, Feuer)

Manche wollen keine Experimente
Bei Risiko da ham sie Angst
Sie löschen mit sicherer Rente
Und Verträgen mit der Allianz
Aus einem Schlauch kommt Langeweile
Bei denen ist gar nichts mehr los
Aus einem anderm tut es schneien
Denn die ersticken die Flammen mit Koks

Also pass auf!
Ja, das Wichtigste ist,
Dass das Feuer nicht aufhört zu brennen
(Feuer, Feuer, Feuer)
Denn sonst wird es ganz bitterlich kalt
(Feuer, Feuer, Feuer)
Ja, die Flammen I'm Herzen,
Die sind durch nichts zu ersetzen
(Feuer, Feuer, Feuer)
Darum halt sie am Laufen, mit aller Gewalt!
(Feuer, Feuer, Feuer)



Und dann die Menschen ohne Rückrad
Den Schlauch voll mit Kompromissen
Doch zum Glück ändern die Wichser
Ständig das Ziel auf das sie schießen
Und die Courtney Loves und Yoko Onos
Ja, die brauchen gar keinen Schlauch
Denn sie nehmen dein Feuer, egal wie groß
Und sie, sie saugen es einfach auauauauaus


Ja das Wichtigste ist,
Dass das Feuer nicht aufhört zu brennen
(Feuer, Feuer, Feuer)
Denn sonst wird es ganz bitterlich kalt
(Feuer, feuer, Feuer)
Denn das Feuer I'm Herzen,
Ist durch nichts zu ersetzen
(Feuer, Feuer, Feuer)
Also halt' es am laufen solang bis es Qualmt!!





Wie auch immer, deswegen liebe ich dich:
Du brennst mein Feuer
 
 
 

October 04, 2010

Verzicht auf Errungenschaften

 
Ich überlege mir, ob dies eventuell tatsächlich eine neue Herausforderung ist, vor der sich der Mensch gerade befindet. Die jetzigen Generationen sind vielleicht die Ersten, die sich mit der Tatsache auseinandersetzten müssen, dass der Verzicht auf schon erreichte Fortschritte unausweichlich werden könnte. Und zwar der freiwillige Verzicht darauf. In der Vergangenheit, bis hin zu der aller jüngsten Vergangenheit, musste der Mensch nie auf einen als Fortschritt empfundenen Sachverhalt aus eigenen Stücken verzichten. Dieser Verzicht wurde in den meisten Fällen mit grober Gewalt von Aussen erzwungen und auferlegt. So benötigte es einer Revolution um den Adel zu einer anderen Verteilung von Güter und Reichtum zu zwingen. Es ist erst durch einen äusserst blutigen und grausamen Krieg möglich geworden, weisse Grundbesitzer dazu zu bringen, schwarze Menschen nicht mehr als frei verfügbare Arbeitskraft (nicht anders als Tiere) besitzen zu wollen. Fortschritt und Errungenschaften werden als neu gewonnene Privilegien betrachtet und Privilegien dürfen nicht, in einer "freien und demokratischen" Welt, anderen Menschen genommen werden. Und, mit wenigen Ausnahmen, verzichtet niemand freiwillig auf seine gewonnene Privilegien. Je nach dem ist dann nur noch über die Gesetzgebung und mit von der Mehrheit getragene Entschlüsse etwas daran zu ändern. Einige ganz grosse Menschen haben das schier Unmögliche erreicht und schwerwiegende Reformen ohne Gewalt zu umsetzen gewusst. Doch diese sind Ausnahmen, die eine gewisse Regel untermauern.

Die Menschheit hat bis heute an einen Fortschritt gearbeitet, was mit jeder Neuigkeit ein besseres Leben erlaubte. Was nicht gegen das allgemeine Wohlergehen missbraucht wurde, stellte praktisch immer eine weitere Besserung des allgemeinen Wohlergehens. Und plötzlich sind wir damit konfrontiert, die Spitze dieser Entwicklung erreicht zu haben. Plötzlich müssen wir uns damit auseinandersetzen, dass wir auf das Eine oder Andere, was wir erreicht haben, werden verzichten müssen. Kein Wunder, fällt uns auch schon die grundlegende Auseinandersetzung mit diesem neuen Sachverhalt derart schwer: Er liegt im klaren Gegensatz zu all dem was uns seit je angetrieben hat.

Bild von Oliver Schmid


Mein Vater beschäftigte sich leidenschaftlich mit Fragen der Mobilität, des öffentlichen Verkehrs, der Verkehrsführung, usw. Mit ganzem Herzen wäre er, Zeit seines erwachsenen Lebens, gerne Strassen- und Verkehrsplaner gewesen. Ausserdem kannte er auswendig alle Namen (also Nummern) der Schweizer Lokomotiven. So wie er auch jeden Pass und Gipfel der Schweiz benennen konnte — unter anderem weil er die Meisten davon in seiner Jugend mit dem Fahrrad erklommen hatte. Jedenfalls war es für ihn eine Selbstverständlichkeit, dass man dem privaten Personen-Verkehr keinerlei Einschränkungen auferlegen sollte und durfte. Als die Problematik der Verschmutzung immer deutlicher aufkam, entdeckte ich in ihm eine Haltung die zu keinerlei Kompromiss bereit war. Ich brauchte eine ganze Weile um diese Haltung überhaupt verstehen zu können. Mein Vater war ja nicht der völlige Egoist, dem die Luftverschmutzung einfach nichts anging. Er war auch nicht der Meinung, dieses Problem könnte man ohne weiteres den nächsten Generationen überlassen und, bis dorthin, einfach das Möglichste raus holen. Nein, er war der festen Überzeugung, dass ein Problem nicht durch "Rückschritt" hätte gelöst werden können.

Er war der Meinung, dass wenn die allgemeine Mobilität ganz gravierende Probleme mit sich brächte, trotzdem nicht die Mobilität an sich das Problem sei. Seiner Meinung nach lag das Problem darin, dass man nicht an der wirklichen Lösung des Problems arbeitete und forschte, nämlich in den nächsten technologischen Fortschritt. Er erzählte mir von Magnet-Bahnen, dort wo wir heute noch die Auto-Bahnen hatten, auf denen kleine Wagons, von der Grösse eines PKWs, die Menschen individuell von A nach B oder eben nach C befördern konnten. Wenn man mit seiner Einheit an der "Ausfahrt" aus der Magnet-Bahn hat, also von der Haupt-Verkehrsachse kommt, kann man mit dem Elektro-Motor bis vor die Haustüre fahren. Durch diese Magnet-Bahnen und der automatisierten Fortbewegung wären auch Verkehrstote eine Sache der Vergangenheit geworden. Die Energie für die Magnete könnte sauber und nachhaltig erzeugt werden, sowie die Energie für jegliche sonstige Bedürfnisse der Menschheit.

Autor unbekannt


Ein vielleicht "banaleres", jedoch viel alltäglicheres Beispiel ist das von einem sehr sehr guten Freund von mir, aus einer ganz gewöhnlichen, bodenständigen, italienischen Arbeiterfamilie. Mein Freund war eindeutig das schwarze Schaf in der relativ grossen Verwandtschaft, beschäftigte er sich doch mit klassischer Musik, Poesie und Literatur, Ernährung, usw. Als er seinen Eltern den Vorschlag machte, nicht immer und ausschliesslich Weissbrot zu essen, hatten diese nur Hohn für ihn übrig. Schwarzes Brot war das der Armen, das von vor dem Krieg, das was nur deswegen gegessen wurde weil es das einzige war, das man sich leisten konnte. Und nun sollten sie freiwillig darauf verzichten? Jetzt, wo sich endlich jeder ehrliche Arbeiter sein Stück Weissbrot leisten konnte, sollten sie wieder damit beginnen, das Armen-Brot zu essen? Niemals!


Heute ist der Konsument schon völlig überfordert von all dem was er beachten sollten, bei jedem Einkauf und bei jedem Entscheid den er Tag für Tag trifft. Dazu kommt, dass bei aller Mühe die man sich beim Einkaufen macht, tatsächlich neue und extrem schwerwiegende Probleme auftreten. Ich kann zum Beispiel bis Heute kaum glauben, geschweige denn noch verstehen wie es dazu kommen konnte, dass wir vor einem neuen Problem wie dem des Palmöls stehen. Bei all dem Wissen, bei all dem... Wissen! Bei all unserem Wissen, tauchen noch so unglaublich tönende Probleme wie das des Palmöls auf! Oder, genau so schlimm aber noch unglaublicher tönend, inmitten unseren reichen und fortschrittlichen Europas: Spanien ernährt mit seinen Früchten und Gemüsen ganz Europa im Supermarkt, obwohl in vielleicht weniger als 10 Jahre nicht einmal genügend Wasser verhanden sein wird um die Ernährung der eigenen Bevölkerung sicherzustellen! Spanien verkommt unaufhörlich zu einer Wüste, doch Golfplätze und wasserintensive Anbausorten machen das Rennen um weiteres Land, das benützt werden kann. Und die Lokalpolitiker reden nur ungern über das Problem, denn es ist nicht "populär"... Und, als wäre es nicht genug, werden die ausländische Handlangern weniger als Tiere erachtet, und müssen schlimmer als was wir jedem Haustier zumuten würden leben. Ohne Vertrag, zur Hälfte des gesetzlich minimalen Lohn. Und dies ist die Regel! Bei all dem Wissen? Wie soll ich, als Konsument, noch einen Einfluss auf die verschiedenen Entwicklungen haben? Also beginn ich den verschiedenen Labels zu trauen — schliesslich bleibt mir ja nichts anderes übrig. Doch dann finde ich heraus, dass sich BP weltweit als "Grüne Gesellschaft" vermarktet hat. Und kann mir durchaus denken, dass BP auch vor einem Label nicht zurückgeschreckt hätte, dass ihr einen vollkommen "grünen", verantwortungsvollen und (natürlich) nachhaltigen Umgang mit unserem Planeten attestiert hätte. Wo liegt also wirklich das Problem?

Natürlich verzichte ich nur höchst ungern auf meine Ferien im Ausland. Natürlich verzichtet kein Banker der etwas von sich hält auf sein — möglichst jedes Jahr exponentiell wachsenden — Bonus. Natürlich verzichtet Direktor Gebrochene Lanze nicht freiwillig auf seine spritfressende Limousine. Natürlich, natürlich, natürlich... Und natürlich hatte mein Vater recht, dass die wirklichen Verbrechen diejenigen sind, die wirklich wichtigen Fortschritt aufhalten und verhindern. Und dennoch ist diese Erkenntnis nicht genug um darauf warten zu können, dass diese Fehlentwicklung wieder von der Geschichte, vom Gang der Dinge, korrigiert wird.

Hier zeigt sich immer eindeutlicher die Aufgabe der Politik in der nächsten Zukunft. Und zwar weltweit. Denn nur so können in einer globalisierten Welt globale Probleme noch angegangen werden. Und solange jedes Land so heuchlerisch bekräftigt, das Möglichste zu tun, und dann aber die regionalen Interessen der Wirtschaft zu Hause berücksichtigt und favorisiert, solange wird der Weg weiter Berg abwärts gehen. Erst wenn man sich wirklich daran machen wird, durch Solarzellen angetriebene Magnet-Bahnen für die allgemeine Mobilität zu entwickeln, wird man eine Chance haben das Problem nachhaltig lösen zu können. Und, bis dann, werden wir erst nennenswerte Resultate erreichen, wenn weltweit ein Limit der PS pro KG Leergewicht (Doktor Y, Witz verstanden? "Eine Limite der PS pro KG Leergewicht!" haha... Geschwindigkeit mal Masse? Ach... Du bist nicht mein Publikum!) eingeführt und eingefordert wird, und zwar bei den Konstrukteuren. Denn, solange wir darauf warten, dass sich Direktor Gebrochene Lanze ein sparsameres Vehikel nicht erst als Zweit- oder Drittwagen beschaffen wird, dann können wir noch lange darauf warte. Sehr lange!

Mark Raymond Cross: Leaf Gatherers In The Season Of Entropy


Ich versuche, und so wie ich und noch viel besser als ich Millionen von Menschen, meinen kleinen Beitrag am Eindämmen der Probleme zu leisten. Doch die Verantwortung kann nicht alleine bei mir und Meinesgleichen sein. Denn ich werde niemals eine Chance haben, das nächste Palmöl Debakel zu verhindern. Oder den nächsten Leck im Golf von Mexiko, selbst wenn ich nicht mehr BP tanken werde. Ah ja... Dann darf ich ja nicht vergessen, dass ich auch nicht Tamoil tanken wollte. Und beim Motoren-Öl war doch auch etwas zu berücksichtigen, oder? Nein! Das war ja das Palmöl das nicht deklariert wird, in den Produkten-Zutaten. Und was noch? Genau! Ja nicht auf Stand-By lassen, den Laptop auf den ich schreibe. Weshalb werden dann aber alle Geräte mit Stand-By Funktion gebaut und verkauft, in den letzten Jahren? Und was noch? Genau, dieses Fett in den Pommes, das Krebs verursachen kann wenn man die Pommes zu lange oder zu heiss frittiert... Was war schon wieder massgebend? Zeit oder Temperatur? Vielleicht sollte ich sie so essen, wie sie aus dem Tiefkühler kommen. In Zukunft. Wenn ich dazu bereit sein werde, auf den erreichten Fortschritt zu verzichten.

Bild von Robert ParkeHarrison
 
 

October 03, 2010

Hilfe zur Selbsthilfe

 
Frau Barbéra Maier, ich kann mir vorstellen wie sie argumentieren könnten, bezüglich meiner Kritik an Sie: Ich würde es mir sehr leicht machen, in dem ich einfach etwas schlecht mache ohne aber einen möglichen besseren Weg aufzuzeigen. Nun... Einfach habe ich es mir nicht gemacht. Dies beweist schon die Tatsache, dass ich bald 15 Jahre gebraucht habe um ihre Fehler nicht nur benennen zu können — was mir ziemlich rasch gelang als ich sagte, sie hätten mich auseinander genommen und dann vergessen, mich wieder zusammenzusetzen — sondern sie auch beschreiben zu können.

Autor unbekannt


Vielleicht fragen Sie, was Sie denn überhaupt für Alternativen gehabt hätten, zu dieser Zeit: Kalter Entzug, Langzeit-Therapie, was sonst noch? Tja, ich werde es Ihnen sagen. Ich wollte eigentlich keine Vergleiche machen, doch ich werde nicht drum herum kommen. Tatsache ist: Ihr Nachfolger — mein Therapeut — musste mit keinen anderen Rahmenbedingungen als Sie arbeiten. Auch er hatte mir, bis zum Schluss der Therapie, Methadon verschrieben, genau wie Sie. Der Wechsel zu Subutex, das neue Opiat-Ersatz welches zwar Entzugs-Symptome verhindert doch, im Gegensatz zu Methadon, keinen Rausch verursacht, wurde erst später durch meinen Hausarzt vorgenommen. Dieser Wechsel sollte für mich eine Offenbarung sein. Oder vielleicht ist es vielmehr etwas gewesen, dass wieder vieles in Frage gestellt hat, dass ich schon seit langem als gegeben und irgendwie verloren glaubte. Wie auch immer, bei Ende der Therapie bei ihrem Nachfolger hatte ich Methadon und hätte von ihm genau so enttäuscht sein können wie von Ihnen. Doch ich war es nicht.

Ganz im Gegenteil, ich war sogar irgendwie, auf eine komische Weise, stolz auf eine Auseinandersetzung mit ihm, auf meinen plumpen Versuch mein Unbehagen auszudrücken. In den Jahren zuvor hatte er sich mit viel Geduld und Wohlwollen darum bemüht, mir das Umgehen mit meinen Problemen auf eine niederschwellige Weise anzueignen. Hilfe zur Selbsthilfe eben, was ja gerade so aktuell in der modernen Psychologie zu sein scheint. Und er tat dies hin und wieder mit Erfolg und eben immer mit Geduld.

Bei Ihnen gab es zuerst einmal immer ein Beigeschmack von Wertung. Eine Wertung die meiner Meinung nach überhaupt nichts zu suchen hat bei einem Therapeuten. Und dann war da die Tatsache, dass ich eigentlich so ziemlich kein einziges Beispiel in Erinnerung behalten konnte, wie ein Gespräch mit Ihnen mir in einer beliebigen Situation meines Lebens weitergeholfen hätte. Da war zum Beispiel dieses Gespräch über die „Wasser-Tanks“, die in New York gerade in Mode waren. Sie erzählten mir davon, wie die vom Stadtleben gestressten Menschen sich eine halbe Stunde in einem schalldichten und völlig dunklen Behälter schliessen liessen, um der Reizflut der Aussenwelt für kurze Zeit entkommen zu können. Ich weiss noch wie sie bemerkten, dies sei doch irgendwie bekloppt. Doch ich kann mich beim besten Willen nicht mehr daran erinnern, weshalb sie dieses Beispiel gebracht hatten. Meinten Sie, ich solle doch so etwas tun oder ich solle so etwas lassen? Wenn ich es tun sollte, weshalb fanden Sie es einen Blödsinn? Also leite ich davon ab, ich sollte es doch besser lassen. Doch, ich bin nie in einen Schalldichten Stahl-Tank gestiegen, geschweige denn mit Wasser gefüllt... Oder sollte ich vielleicht zusehen, dass ich es in Zukunft nicht nötig haben würde? Sehen Sie was ich meine? Ich kann bei keinem einzigen Punkt in unseren, über viele Jahre geführten, Gespräche einen konkreten Bezug zu meinem Leben ausserhalb ihres Therapie-Zimmer herstellen. Beim besten Willen nicht. Ausser vielleicht einige wenige Bemerkungen über Familien-Mitglieder und Partnerinnen, die man aber nicht wirklich als „aufbauend“ bezeichnen könnte...

Angela Di Sanza: New Society


Doch ich kann mich daran erinnern, wie Sie mir von einem Film erzählten, ich weiss nicht mehr welcher Film es gewesen ist. Darin ging es um einen Mann, der sein Leben lang seine Gefühle nicht auzusdrücken vermochte. Sie schienen mir ziemlich gerührt von der Schlüsselszene. Leider kann ich auch hier nicht mehr sagen, weshalb Sie mir von diesem Film erzählten. Oder, besser gesagt, wenn ich einmal annehme, dass Sie mir davon erzählten weil ich Schwierigkeiten damit hatte, meine Gefühle auszudrücken, dann kann ich mich an keinen einzelnen Satz erinnern der mir dabei geholfen hätte, diese Schwierigkeiten zu überwinden. Und dies ist es, was ich an Ihrer Arbeit kritisiere.

So wie ich diese Sozialarbeiterin kritisiere, bei der von Ihnen organisierten Milieu-Therapie. Diese Frau hatte eine dermassen unmögliche Einstellung, uns Patienten gegenüber, dass es kaum zu glauben ist. Da waren andere Leute im Team, die hervorragende Arbeit leisteten und die auch aus menschlicher Sicht absolut genial waren. Doch es reichte ein faules Ei im Team, um womöglich die beste Arbeit von einem Dutzend Menschen in Luft aufzulösen. Oder, noch schlimmer, um bei den Patienten Schaden anzurichten. Die Frau, ein ausgesprochener Céline Dion Fan, überbot ihre eigene Fehltritte als sie einmal mit der Äusserung kam
Ihr glaubt aber nicht wirklich, jemals wieder einen Job zu finden, oder?
Da sind also Menschen mit einer Drogen-Sucht die sich in Therapie begeben, um etwas Stabilität wieder finden zu können, um nicht vollends im Leben abzurutschen. Und da arbeitet jemand im Team der die Verantwortung für die Unterstützung an diese Menschen trägt, der eine solche Einstellung hat? Ich finde dies absolut unglaublich. Weshalb um alles in der Welt tut sich diese Frau so was schreckliches überhaupt an, wie Morgen für Morgen mit diesen Versagern einen neuen Tag anzugehen? Dass ich danach ziemlich erfolgreich während mehr als einem Jahrzehnt gearbeitet habe, wissen Sie, so glaub ich, inzwischen. Ich bin mir auch ziemlich sicher, nicht der Einzige aus dieser Gruppe zu sein, der sein Leben wieder einigermassen in den Griff bekommen konnte. Und dennoch liess uns diese Frau Tag für Tag, verlässlich, ihre herablassende Meinung über uns spüren.

Kritisieren tue ich inzwischen auch den verantwortlichen Psychiater, der bei einer Visite ziemlich unvermittelt den Finger in einen Handschuh steckte, um mir danach beide in den Arsch zu steckten. Währenddessen, debattierte er mit seinem Kollegen über Äusserungen von mir, die ich zuvor gemacht hatte. Diese Geschichte werde ich aber ein ander Mal erzählen.

Ich würde Ihnen noch gerne von Gesprächen erzählen, die ich wiederholt mit Leute vom Team des K&A Oerlikon hatte. Obwohl ich arbeitete, und teilweise viel arbeitete, wurde ich mit der Zeit fast Teil des Inventars dort, denn ich bin immer nach der Arbeit dort vorbei. Das Team hat mit zugesehen, wie es mir über Jahre hinweg langsam aber sicher immer etwas schlechter ging. Wenn ich zu Beginn nur etwas Heroin spritzte, bevor ich nach Hause ging, dann verprasselte ich, bevor ich in die Harte Klinik ging, einen grossen Teil meines Lohnes in Drogen. So kam es, dass ich das eine oder andere Gespräch mit den Leuten dort geführt habe. Und es ist vorgekommen, dass sich Sozialarbeiter die Frage stellten, ob sie mir mit den Dienstleistungen des K&A einen gefallen machen würden. Wiederholt habe ich meine Dankbarkeit geäussert, denn ich war mir dessen sicher und erzählte davon, wie ohne K&A mein Leben viel schwieriger gewesen wäre. Nur dank dieser Institution war es mir über Jahre hinweg möglich, meiner Arbeit nachzugehen und parallel dazu noch irgendwie einigermassen mit der Drogen-Sucht zurecht zu kommen. Ich verstand die Vorbehalte der Sozialarbeiter und gab ihnen also ein praktisches Beispiel dafür, wie ich die Sache empfand. Platzspitz und Letten sind sehr wohl Orte der Schande gewesen, an denen junge Menschen untertauchen und sich von jeglichem Sozialleben verabschieden konnten. So zogen damals junge Drogensüchtige von zu Hause aus um auf dem Platzspitz, unter Menschen-Unwürdigen Zustände zu existieren. Im K&A hingegen, konnte sich keiner von seinem Sozialleben ausserhalb dieser Institution verabschieden. Jedenfalls nicht mehr, als wenn er auf der Strasse gelebt hätte. Denn in einem K&A müssen noch Regeln und Formen respektiert werden, was auf der Gasse überhaupt nicht der Fall ist. Ausserdem ist durch das Team ein gutes Mass an Anbindung an bestimmte Dienstleistungen und Unterstützung noch gewährleistet. Ich sagte immer, wenn das K&A irgendwie Einfluss auf den Verlauf meiner Drogen-Sucht gehabt haben sollte, dann hat es bestimmt einer Verschlechterung verlangsamt, gewiss nicht begünstigt oder gar beschleunigt.

Ich erzähle dies, weil ich es als extrem traurig empfinden würde, wenn sich herausstellen sollte, dass auch Sozialarbeiter vom K&A Oerlikon eine schlechte Meinung von mir und einen für mich benachteiligenden Einfluss auf den Verlauf meiner letzten 3 Jahre gehabt haben sollten. Wenn sie mir Steine in den Weg gelegt hätten. Ich wäre traurig und mehr als sauer, denn dies wäre wahrlich das Letzte, was ich erwartet hätte. Nicht nur hatte ich zusammen mit meinem Sohn (wie alle im K&A wussten) gegen einen Tumor zu kämpfen, ich hatte auch extrem komplizierte Verhältnisse zu Hause. Und die Probleme dort waren bei Gott nicht einzig von meiner Sucht verursacht. Also hatte ich in den Leuten vom Team in Oerlikon Gesprächs-Partner und dort einen Ort, an dem ich mich für kurze Zeit von jedem Druck befreit fühlte. Doch, je länger je mehr, fürchte ich, das Gegenteil könnte der Fall gewesen sein.

Sehen Sie, Frau Maier, mit 20 hatte ich mich einmal überwunden und fand die Kraft eine Sozialarbeiterin in Lugano aufzusuchen. Meine Sucht war damals noch nicht schlimm und ich konnte Arbeit und Studium nachgehen, dennoch merkte ich wie sich eine ungute Entwicklung hätte anbahnen können. Also ging ich hin und erzählte von meinen Problemen und Befürchtungen. Die Antwort, die ich damals bekam, scheint mir noch heute schier unglaublich
Ich muss Ihnen ganz ehrlich sagen, ich habe viel Erfahrung mit Fälle wie Ihren und, aus dieser Erfahrung heraus muss ich Ihnen leider Sagen, dass man Menschen wie Ihnen eigentlich erst dann helfen kann, wenn sie zu unterst unten angekommen sind. Und Sie, LET US SHINE, sind nicht zu unterst. Also bin ich mir dessen ziemlich sicher: Ihnen kann man zur Zeit nicht helfen.
Bis heute kann ich fast nicht glauben, dass mich diese Frau nach diesen Worten verabschiedet hat. Mit der impliziten Botschaft sozusagen, ich solle doch erst einmal schön abschmieren, um dass mir dann alle Türen der institutionalisierten Hilfe offen stünden.

Ich habe nach diesem Gespräch wirklich mein Leben damit verbracht das mir Möglichste zu tun, um keine Hilfe mehr zu benötigen. Es ist mir einerseits mehr schlecht als recht gelungen, doch auf der anderen Seite muss ich sagen, dass ich wirklich das Beste aus meiner Ausgangslage gemacht habe. Wie mein Therapeut einmal sagte
Was Sie so im Laufe der Zeit erreicht haben,
haben Sie nicht WEGEN ihrer Probleme erreicht,
sondern TROTZ ihrer Probleme.
Ja, Frau Maier, ich bin zu Ihnen gekommen. Doch ich hätte auch schon viel viel früher aufgeben können, und mich einfach durch die psychiatrischen Institution helfen lassen, von Anfang an. Doch... Wäre dies besser gewesen? Was meinen Sie? Hätte ich schon damals „dran bleiben“ sollen? Hätte ich dafür sorgen sollen, dass die Sozialarbeiterin in Lugano mir hätte helfen können?

Laura Wilde: In Between


Sehen Sie, ich habe im Laufe der Zeit so einiges an Lebenserfahrung sammeln können. Unter anderem danke ich Gott dafür, denn ohne diese hätte mich die Angelegenheit mit der Harten Klinik ziemlich sicher auf nicht mehr wiedersehen gebrochen. Jedenfalls, ist ein Teil dieser Lebenserfahrung die, dass ich zu schätzen gelernt habe, wer mir Hilfe zur Selbsthilfe angeboten hat. Ich durfte, Gott sei Dank, immer wieder diese Erfahrung machen die mir, in der Summe ihres Auftretens, schon das eine oder andere Mal das Leben gerettet hat. Leider zählen Sie, Frau Maier, in nur unscheinbarem Anteil als zu dieser Erfahrung gehörend. Und dies kritisiere ich an Ihnen, ist ihr Beruf doch eigentlich der, ihren Patienten Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten. "Von der Hilfe zur Selbsthilfe": Lautet nicht so das Leitmotiv der Psychiatrie?

Ich musste immer wieder daran denken, wie ich es als Hilfe betrachtet hätte, wenn Sie mir damals von der Diagnose Borderline erzählt hätten. Was für eine unglaubliche Hilfe wäre dies denn gewesen, die Sie zu leisten versäumt haben? Ist Ihnen überhaupt im entferntesten klar, was Sie da angestellt haben? Wissen Sie, dass mir damals eine gute Freundin von ihrem manisch-depressiven Vater erzählte, der bei einem Seminar in der UdSSR für knapp zwei Wochen verschand und danach Jahrelang von KGB, geheimen Untersuchungen und sonstigen abstrusen Geschichten berichtete? Wussten Sie, dass ich mir ab diesem Zeitpunkt sorgen machte, ob auch mir eines Tages so was bevorstehen würde? Mir, und besonders noch den Menschen um mir herum! Haben Sie eine Ahnung wie hilfreich es gewesen wäre zu wissen, als ich mit der Stirn gegen die Wand schlug, dass dies bestimmt der Höhepunkt einer Krise war, und nicht der Vorbote von etwas noch viel Schlimmerem? Wissen Sie wie lange ich mit der Angst leben musste, vielleicht eines Tages völlig überzuschnappen? Dabei hätten Sie, Frau Barbéra Maier, mir diese Angst nehmen können. Und mir somit nicht wenig an Lebensqualität zurückgeben.

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Ich weiss bis heute nicht, weshalb Sie mir die Diagnose vorenthalten haben. Einem Patient wird die Diagnose vorenthalten, das muss man sich mal vorstellen! Leider halte ich es immer mehr für möglich, dass Versicherungen etwas damit zu tun haben könnten. Ich muss daran denken wie mich die Schweizer Armee nicht wollte, wegen meiner Hepatitis. Wer nun glaubt, dies sei so gehandhabt worden aus Rücksicht auf meine Gesundheit, der irrt gewaltig. Obwohl ich damals noch in top Form und sportlich war, obwohl ich bereit gewesen wäre meinen Beitrag zu leisten: Einzig und alleine versicherungstechnische Überlegungen bringen eine Schweizer Armee dazu, so vorzugehen.

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Nun muss ich bemerken, dass Sie, Frau Maier, meine Gesundheit definitiv aufs Spiel gesetzt haben. Hätte ich von der Borderline-Diagnose gewusst, dann hätte ich vielleicht eine Chance gehabt, meinen Drogen-Konsum anders zu verstehen, einen anderen Umgang damit zu finden. Sie haben mir die Möglichkeit genommen, zu verstehen wie Drogen-Konsum und Persöhnlichkeitsstörung gegenseitig Einwirken und wie ich Drogen oft zum Betäuben von Krisen benutzte. Sie haben mir also die grundlegende Möglichkeit genommen, meinen Konsum eventuell massiv zu reduzieren! Denn, hätte ich gewusst in welchem Masse die Drogen als eine Art Schutz vor der Krankheit dienten, wäre ich vielleicht im Stande gewesen den Konsum an sich besser zu kontrollieren. Und weil ich, seit meinem 17. Lebensjahr, an einer chronischen Hepatitis leide, betrachte ich ihr vorgehen nicht nur als gefährlich, sonder als für ihren Beruf vielleicht rechtswidrig (das selbe gilt übrigens für die Harte Klinik). Mich von der Diagnose in Kenntnis zu setzen, hätte nicht grössere Kosten verursacht. Das Gegenteil wäre ziemlich sicher der Fall gewesen. Oder glauben Sie tatsächlich, ich wäre dann vor der Psychiatrie gestanden um dort an der Türe zu klopfen? Nie und nimmer wäre ich damals auf die Idee gekommen, eine Rente zu beantragen. Nie und nimmer wäre ich nach den ersten 3 Wochen in der Harten Klinik auf die Idee gekommen, eine Rente zu beantragen. Doch es sollte anders kommen, und die Helsana weiss bestens darüber Bescheid. Ist es doch die Helsana gewesen, die den Antrag einer IV-Rente verfügt hat. Aber genau... Die Helsana hatte sich ja auch niemals Sorgen zu machen, wegen einer Dienstleistung der IV, ganz im Gegenteil. Man ist immer darum bemüht gewesen, einen Junkie aus mir zu machen, auf dem Papier. Und zwar einen Junkie und basta. Ich gratuliere: Mission erfolgreich abgeschlossen! Oder so...

Eine andere interessante Geschichte über die Diagnose und die Art, wie sie mich erstmals erreichte, werde ich ein anderes Mal erzählen.

Auch mein Therapeut hat mir die Diagnose niemals mitgeteilt, das stimmt. Doch konnte ich dank ihm wenigsten so gut damit umgehen, dass ich mir nicht mehr die Stirn an irgendwelchen Wänden fotokopieren musste. Jedenfalls habe ich ihn einmal mit der Tatsache konfrontiert, dass ich niemals eine Diagnose erhalten habe. Er sagte, dies könne damit zu tun haben, dass man vermeiden wolle dass sich ein Patient zu sehr mit seiner Krankheit beschäftigen und sich eventuell noch mit ihr identifizieren würde. Dies war noch lange vor der Harten Klinik. Ich nahm es ihm ab, denn er hatte sonst ja auch bewiesen, dass er mir am helfen war, mir selbst zu helfen. Ganz im Gegensatz zu Ihnen, Frau Barbèra Maier. Sie sind vielleicht genau so gefährlich wie mancher Arzt in der Harten Klinik, wenn nicht noch gefährlicher! Ist dieser Hinweis eine Hilfe für Sie?

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