October 08, 2011

diffuses Unbehagen

 
In einer Welt die sich offensichtlich gar nicht mehr artikulieren muss wenn es um Ausbeutung geht, die sich nicht rechtfertigen muss wenn es Ungerechtigkeit geht, wundert man sich wenn sich Jugendliche nicht mehr artikulieren und ihre angestaute Wut nur noch durch Krawalle ausdrücken können. Sich darüber zu empören ist richtig, aber man sollte sich viel mehr darüber empören, wie und weshalb es so weit kommen konnte, dass selbst in der so reichen Schweiz ein Teil der Zukunft unseres Landes keine Zukunft für sich sieht. Heute, wo Macht gar nicht mehr von den Machthabenden gesichert und verwaltet werden muss, heute wo der Staat für die systemische Ordnung sorgt, ein Staat der offiziell als demokratisch und als Repräsentant des Volkes genannt wird, heute ist es für Jugendliche mit Artikulations-Problemen vielleicht ein wenig schwierig dem eigenen Unmut eine angebrachte Ausdrucksform zu geben. In einer Welt die so unglaublich traurig und armselig geworden ist, dass selbst das Land Südafrika dem Dalai Lama die Einreise-Erlaubnis verweigert, in einer solchen Welt sollte man vielleicht nicht allzu viel von einer benachteiligten Jugend erwarten.

Südafrika, 2011: Desmond Tutu feiert seinen 80. Geburtstag und lädt den Dalai Lama zu sich ein. Die ANC, die regierende Partei, erteilt dem Geistlichen kein Visa! Ist das zu fassen? Ich kann es nicht fassen, ich kann es wirklich nicht fassen... Desmond Tutu hat, zusammen mit Nelson Mandela und vielen anderen, für die ANC sein Leben aufs Spiel gesetzt, für das wofür die ANC damals stand: Nämlich die Befreiung eines Volkes, eines ganzen Landes. Die ANC stand für die Befreiung Südafrikas vom Apartheid-Regime. Heute feiert Desmond Tutu, dem das Land so viel zu verdanken hat, so unglaublich viel, seinen Geburtstag und er hätte bei seiner Feier gerne den Dalai Lama bei sich gehabt, die Figur die wie keine andere heute für ein besetztes Land, ein unterdrücktes Volk steht. Doch die Regierung, die noch im Namen der selben ANC für die Desmond Tutu gestorben wäre zu handeln vorgibt, lässt diesen tibetischen Mönch nicht ins Land reisen. Und das wirklich tragische an dieser Geschichte ist schlussendlich der Grund weshalb die Einreise des Dalai Lama nicht gestattet wird: Es geht hier nicht etwa um komplizierte Diplomatie oder den Austausch politischer Gefangener, es geht hier nicht um Menschenleben, nein, es geht um Geld. Es geht darum, China ja nicht zu brüskieren und mögliche wirtschaftliche Investitionen nicht zu gefährden. Dies scheint den verantwortlichen der ANC Grund genug zu sein, um Desmond Tutu einen Herzenswunsch zum 80. Geburtstag zu verwehren: Geld.

Nun ist es einfach die Jugendlichen in Zürich zu verurteilen, die Nachts durch die Strassen gehen und randalieren. Es ist einfach und auch richtig. Im Gegensatz zu einigen Politikern bin ich aber noch viel mehr von der Gewalt der Jugendlichen an Sport-Veranstaltungen verdutzt. Denn in den Stadien wird ja etwas geboten. Etwas was, gemäss den Aussagen der Fans, ihnen sehr stark am Herzen liegt. Wie können sie also den so sehr geliebten Sport mit Gewalt besudeln? Dies ist aber vielleicht eine etwas andere Geschichte, als die der Jugendlichen Chaoten auf den Strassen. Denn, wie es Erwing Pelzig sagt: Was genau soll der Unterschied zwischen einem jugendlichen Plünderer in London und den Gewinnzielen der Deutschen Bank sein? Was ganz genau soll da bitte der Unterschied sein? Wenn es nun in den USA eine Bewegung gibt, die sich "Occupy Wall Street" nennt, wenn sich dort die Unzufriedenheit auch nur schon minimal artikulieren kann, dann sollten wir nicht vergessen, wie schwierig es in der Schweiz sein muss, diese Unzufriedenheit überhaupt schon zu definieren. Hier, wo alles so bedeckt und diskret abläuft, wo nichts per Name genannt wird, wo sich die Promis aus der ganzen Welt wohl fühlen weil sie nicht angesprochen werden, wo ein Schleier des Bürgerlichen über alles zu liegen scheint, wie schwierig ist es hier für ein Teenager überhaupt zu verstehen, was ihn da irgendwie diffus stört und nicht genau zu benennen ist? Wenn ich merke wie schwierig diese Welt für einen Erwachsenen ist, dann möchte ich nicht wissen wie sie sich für einen Teenager anfühlen muss.
 
 

October 07, 2011

Zeit & Chemie

 
Ihr drei kleinen Schweinchen, ihr Wahnschweine, wie geht es so? Hält das Häuschen noch? Ja? Dann habt ihr aber Glück! Schön für euch. Ja, genau: Glück... Weil es Menschen gibt, denen es den Garten durch die Wohnung bläst. Mir, zum Beispiel, hat es nicht nur den Garten durch das Wohnzimmer trompetet, auch alle Schrebergärten im Umkreis sind vorbei gedüst. Ja, selbst der eine oder andere Zoo war auf Besuch! Wie auch immer... Mal sehen wie lange euer Haus noch hält, oder? Ich bin besonders neugierig zu sehen, nicht nur wann es euch um die Ohren zu blasen beginnt, sondern vor allem was euch alles um den Hörapparat fliegen wird.

Es gab einmal einen besonders geschmacklosen Witz darüber, wie man in gewissen Ländern die Zeit damit verbringen musste, den Kugeln auszuweichen. Nun könnte ich mir gut vorstellen, dass ihr Betonmischer und Abriss-Birnen werdet ausweichen müssen, sowie grosse Tiere, Meteoriten, Coca-Cola Weihnachts-Lastwagen, usw. Und ich rate euch dringend, den Sachen wirklich auszuweichen... Es soll keine besondere Freude sein, wenn einem ein ausgewachsener Tiger mitten ins Gesicht landet, besonders wenn dieser eh schon ein wenig verstört ist...


Bild von Salvador Dalì



Ganz zu schweigen von zwei Tigern!
Doch vielleicht wollt ihr es ausprobieren? Vielleicht habt ihr eure Midlife-Crisis und benötigt dringend neue Extrem-Erfahrungen? Die Einmaligkeit der auf euch wartenden Abenteuer ist nach oben völlig offen und kann ganz nach persönlichem Geschmack gesteigert werden. Die Beispiele vorher sind einfache, zum Basis-Programm gehörende Vorschläge. Für euch würde ich mir die Mühe machen, etwas einzigartiges zu gestalten. Etwas unvergessliches.

Weshalb ich wieder einmal mit meinen Gedanken bei euch bin? Nun, bei mir wurde gerade eine Schilddrüse-Unterfunktion festgestellt... Ja genau. Ich quäle mich seit Jahren inzwischen durch jeden einzelnen Tag. Jede Bewegung, jede Handlung ist eine Tortur. Ich fühle mich wie sich mein Grossvater mit 90 wahrscheinlich noch nicht gefühlt hat. Ich leide, um es kurz zu machen. Doch wisst ihr was? Ich bin, dank euch, so dermassen Scheisse drauf, dass ich wirklich denke, all dieses sich hinquälen des Körpers habe bestimmt psychosomatischen Ursprung. Ich denke, weil es mir im Kopf so schlecht geht, wird es mir auch im Körper so schlecht gehen. Das paradoxe ist, es stimmt sogar wieder, irgendwo, denn es geht mir psychisch so schlecht, dass ich gar nicht mehr in der Lage bin zu realisieren, was rein körperliche Beschwerden sind. Selbst wenn diese Beschwerden alles andere als klein sind. Und so vergeht die Zeit und ich warte darauf, dass es mir irgendwann besser geht... Und es vergeht mehr Zeit. Und noch mehr. Und nochmals Zeit. Und wieder etwas Zeit.

Seit wann leide ich an Schilddrüsen-Unterfunktion? Keine Ahnung! 2 Monate? 18 Monate? 3 Jahre? Keine Ahnung... Ist das nicht verrückt? Dank dem Trauma, den ihr mir verpasst habt, konnte ich nicht einmal mehr offensichtlich physische Beschwerden als solche identifizieren. So viel zu meinem Draht zu mir selbst, nach dem ich in den „Genuss“ eurer „Therapie“ gekommen bin.


Time, they say, is the great healer
But I believe in chemicals, baby
Fatboy Slim

In diesem Fall wird es definitiv die Chemie sein, die mir wird helfen können. Zeit, hätte ich noch sehr viele verstreichen lassen, ohne dass diese auch nur die geringste Chance gehabt hätte, eine Besserung zu bringen. Chemie hilft mir also dabei, etwas Entlastung zu erfahren. Und Zeit hilft mir beim Trauma. Beide sind sie also, Zeit und Chemie, grosse Heiler. Je nach Beschwerde.

Wie auch immer... Passt gut auf herumfliegende Tiger auf. Wirklich: Es soll recht unangenehm sein, wenn sich einer an einem festkrallt. Ganz besonders wenn dieser noch Angst hat, er könnte ins Wasser fallen. Man sieht sich, ihr Wahnschweinchen, man sieht sich. Überlegt euch vielleicht in der Zwischenzeit, welche Art von Wunden ihr euch möchtet zufügen lassen, falls ihr wählen könntet: Solche die durch Zeit heilen, oder lieber solche die durch Chemie heilen? Überlegt euch wofür ihr euch entscheidet. Ich durfte nicht wählen und muss mich mit beiden Arten rumschlagen.

Und während wir alle warten, dass es euch euer Häuschen wegbläst, könntet ihr vielleicht ein wenig auf eure Patienten hören. Es soll nämlich hin und wieder vorkommen, dass Insassen einer Anstalt sehr gute Fragen stellen. Ja, genau... Es soll vorkommen, dass die vernünfigsten Fragen in einer Klapse gestellt werden. Vielleicht könntet ihr Patienten wie Herrn Pelzig etwas besser zuhören, anstatt schon alle Antworten parat zu haben. Was meint ihr? Wär das nicht einmal ein Anfang? Vielleicht würdet ihr ja merken, dass hinter all dem Freudianischen Hokus-Pokus den ihr in Formulare ankreuzt, hinter den Tonnen an Medikamenten die ihr falsch benutzt, Menschen mit zum Teil sehr überraschenden Fähigkeiten zu finden sind.

Ach, fast hätte ichs vergessen: Passt ja auf den Wolf auf! Ja nicht den Wolf vergessen, bei aller Angst vor dem Tiger...





Ich hätte so viele Fragen  ==  Erwin Pelzig
Neues aus der Anstalt / ZDF




Erwin Pelzig: Grossartige Fragen!
Wer hat Antworten darauf? Die Psychiatrie?
Wie die von Pelzig angesprochenen Wunden wohl am besten heilen?
Durch Zeit oder durch Chemie?
 
 

September 24, 2011

rendez-vous verpasst...

 
Meine Heldin, habe ich da etwas falsch in Erinnerung oder gab es da eine Abmachung mit deiner Bekannten, Frau Schubiger? Frau Schubiger, war das nicht die, die eine Schub-Maschine erfunden hatte? Täusch ich mich oder hatten wir vor, sie auf einer Lichtung zu treffen, von wo aus wir auf Reisen gehen würden? Jetzt, wo es uns den Garten und all die Meisen-Knödel durch das Wohnzimmer bläst, bin ich mir nicht mehr so sicher, ob wir für so einen Fall nicht eine Strategie hatten. Ich bin mir nicht so sicher, weshalb wir immer noch hier sind, jetzt wo es ziemlich ungemütlich geworden ist. Hatten wir nicht andere Pläne, meine Heldin? Und... weshalb waren wir nicht auf der Lichtung? Waren wir besoffen? Nee.. Warst du schwanger? Auch nicht... Wieso dann? Und wo sind all die Schübe geblieben, meine Heldin? Ich hatte so schöne Schübe, mit der einen Schub-Maschine der Chemicals...


Frau Schubiger  ==  StahlbergerHeuss
Bei Giacobbo/Müller




Eine Frage hab ich noch: Wer zum Teufel ist Daniel Ziegler?
 
 

September 23, 2011

Schere & Pendel

 
DIE SCHERE
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Für ein Mal habe ich einen Kandidaten der SVP gefunden, der für etwas Transparenz sorgt. Während der Präsident Toni Brunner behauptet, die SVP bekomme mehr Spenden-Gelder weil sie die bessere Politik mache, stellt sich einer der Geldgeber gerade selbst vor und gewährt uns einen Einblick in das "fürs Volk politisieren" der SVP. Oder so. Der mehrere Millionen Franken schwere Nationalrat-Kandidat Thomas Matter (der mit dem Matterhorn auf dem Plakat) stellt sich zur Wahl um vor allem seine zwei wichtigsten Anliegen in Bern zu vertreten:
1) Deregulierung im Banken-Sektor (!)
2) Steuer-Senkungen
Diese Agenda stammt nicht etwa vom Sommer 2006, nein, vom Sommer 2011. Im Rahmen eines mit von ihm gestaltetes Portraits der Sendung Rundschau macht er ausserdem folgende Aussage, als nach seiner Meinung über die sich immer weiter öffnende Einkommens-Schere gefragt wird:
Das mit der Schere ist eh ein Märchen. Vor 100, oder sagen wir vielleicht 200 Jahren, war die Schere noch viel weiter auseinander!

Wie jetzt, ich verstehe nicht recht: Ist die Schere nun ein Märchen oder war sie vor 200 Jahren noch viel breiter? Und, wenn sie vor 200 Jahren noch viel breiter war — und auch vor 100 Jahren als die Menschen auswandern mussten weil sie sonst verhungert wären — heisst das nun, dass wir wieder zu diesen Verhältnissen zurück sollten? Möchte Herr Matter dieses Märchen von einer Schere wieder so hinbekommen, wie sie vor 100 Jahren war? Ist das die Politik der SVP? Jedenfalls ist es die Politik eines ihrer besseren Geldgeber.

Und ich frage mich: Weshalb muss ein derart reicher Mensch noch so viel Wert darauf legen, noch reicher zu werden und vor allem möglichst nichts seinen Mitmenschen abgeben zu müssen?



DER PENDEL
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Es ist schon eine Weile her, dass im Club über die IV-Reform debattiert wurde. Mit dabei war der höchste IV-Beamte der Schweiz, eine Anwältin, ein Politiker und andere. Die Anwältin trägt ein Fall von einer Frau im Rollstuhl vor die, nachdem sie von 2 unabhängigen Ärzte für Arbeits-Unfähig erklärt wurde dennoch von einem IV-Experten die Rente aberkannt bekam. Der IV-Boss meinte dazu
Sie sind Anwältin, und an Ihrer Stelle würde ich auch solche Fälle bringen...

Er bestreitet also nicht einmal, dass Menschen die absolut nicht arbeiten können, in letzter Zeit schon hin und wieder ihren Anspruch auf eine IV-Rente verlieren können, auch nach Jahren des Bezugs und ohne nachvollziehbaren Motiven. Doch es kommt noch besser.

Der Politiker weist darauf hin, dass die IV in den 80er Jahren viel zu viele Fälle von den Sozialämtern übernommen hat, was ja auch stimmt. Es ist ja wirklich so, dass Missbrauch bei der IV zu leicht gemacht wurde, über längere Zeit. Und es ist leider auch so, dass Missbrauch betrieben wurde. Dieser Missbrauch wurde zwar damals nicht unterbunden, weil man die Menschen weg von den Sozialämtern haben wollte, doch dies ist eine andere Geschichte. Tatsache ist nun aber, dass um den damaligen Missbrauch zu bekämpfen, Menschen unter die Räder kommen, die absolut zu Recht eine Rente beziehen und die darauf angewiesen sind, um ein noch möglichst würdiges Leben führen zu können. Nun sagt der Politiker:
Es mag ja schon sein, dass der Pendel damals zu sehr auf der einen Seite war und dass, um dies zu korrigieren, er nun zu sehr auf der anderen Seite ausschlägt. Das wird sich wieder einpendeln...

In unserem Rechtsstaatt scheint es heute also für gewisse Politiker und Beamte völlig akzeptabel zu sein, dass Menschen die ihnen gesetzeshalber zustehende Unterstützungwiderruftt bekommen, um ihnen fremde Sachverhalte zu korrigieren. Das ist wie wenn man in der Justiz die Unschulds-Vermutung gegenüber Pflege-Personal pauschal abgeschafft würde um einigen Sexual-Straftätern auf die Schliche zu kommen. Schlicht und einfach inakzeptabel, so sehr das Ziel auch wichtig sein mag. Und wenn man so was selbst zum Schutz vieler Opfer nicht tolerieren kann, wie um alles in der Welt konnte es soweit kommen, dass man es für tolerierbar erachten kann, wenn es um das Schützen von Geld geht? Kann das wirklich OK sein, dass jemand über mehrere Jahrzehnte invalide ist um dann, plötzlich, es nicht mehr zu sein? Obwohl diese Person niemals im Leben je wird arbeiten können? Wer aber solche Aktionen organisiert kann locker davon ausgehen, dass die Opfer solchen Missbrauchs weder die Mittel noch die Kraft haben um sich wehren zu können.



SCHERE UND PENDEL
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Vielleicht wäre es an der Zeit, Schere und Pendel zusammen zum Einsatz zu bringen. Vielleicht sollte man mit der Schere den Pendel schneiden, damit dieser nicht mehr so ausbrechen kann. Vielleicht aber wäre das nicht so gut, für all diejenigen die sich unter dem Pendel finden. Wie auch immer...
Ich kann absolut nichts Gutes hinter dem Programm erkennen, mit Verbissenheit in den Kampf gegen besseren sozialen Ausgleich zu ziehen und all die sozialen Errungenschaften der letzten 100 Jahren wieder rückgängig machen zu wollen! All das, was unsere Vorfahren geschaffen haben, wenn sie nicht gerade, vom Hunger getrieben, auswandern mussten.

Jedenfalls gibt es garantiert keine Verschwörung in der Schweiz — was ja schon mal nicht schlecht ist. Thomas Matter z.B. sagt uns ganz offen, weshalb er nach Bern möchte: Er braucht mehr Geld und möchte dafür weniger Steuern zahlen. Ausserdem möchte er dafür sorgen, dass dieses Märchen von einer Schere wieder so weit geöffnet wird, wie es zu den guten alten Zeiten vor etwa 100 Jahren der Fall war.