August 10, 2011

verrückte Zeiten

 
Es sind verrückte Zeiten, in denen wir leben. Wirklich verrückte Zeiten... London verwandelt sich über Nacht zum Schauplatz unglaublicher Zerstörungswut, am Horn von Afrika sterben die Menschen an Hunger, in Syrien dreht der Herrscher völlig durch, verpasst der internationalen Gemeinschaft eine Abfuhr und schiesst weiter auf sein Volk, mit Panzern. Libyen befindet sich weiterhin im Krieg. In Norwegen schiesst ein wahnsinniger Rechts-Extremer auf Kindern. Japans Premierminister beteuert während der Gedenkfeier an die Atom-Bomben, er wolle nicht mehr ganz so blind in die Atom-Energie glauben. Gerade in diesen Nächten geht London in Flammen auf, vor kurzer Zeit waren es Paris und Berlin. Alle scheinen sie sowas von Dünnhäutig geworden zu sein... Mir scheint, als würde die gesamte Menschheit je länger je mehr auf dem Zahnfleisch laufen.

Vor nicht all zu langer Zeit hatten wir eine "Wirtschafts-Krise", nun haben wir eine "Schulden-Krise". Vielleicht mache ich mir ja nur unnötige Gedanken, aber wie um alles in der Welt kann sich eine "Wirtschafts-Krise" in so kurzer Zeit in eine "Schulden-Krise" verwandeln? Wenn noch vor 24 Monaten die Banken an allem schuld waren, sind es nun die Staaten. Die Börse spielt überall auf der ganzen Welt verrückt (oder anscheinend verrückt) und schuld an allem sind jetzt die "bösen Schuldner-Staaten". Oder bestimmen inzwischen definitiv "Wirtschaft" und "Markt" wo es langgehen soll? Dies ist aber eine andere Geschichte...

Die Menschen strengen sich an und versuchen ihr Leben, so gut es geht, zu meistern. Viele bekommen niemals überhaupt eine Chance, ihr Leben meistern zu können. Und diese Viele werden immer mehr. Alle laufen auf dem Zahnfleisch. Und was bekommen sie dafür? Nichts... Noch mehr Unsicherheit, noch mehr Ungewissheit. Was wird der Markt morgen machen? Wird der Markt unsere Jobs vernichten? Niemand weiss es... Wer Geld hat, macht noch ein paar Schnäppchen-Einkäufe an der Börse (das heisst dann Volatiler Markt), die anderen haben Angst um ihre Zukunft und die ihres Landes.

Unter solchen Umständen werden immer mehr Menschen krank. Immer mehr sind es, die im Laufe ihres Lebens an einer "psychischen Störung" leiden. Jeder zweite bis dritte Mensch! Eine junge Frau hat über ihre Erfahrung in einer Klinik geschrieben. Sehr authentisch, auf humorvolle Art und Weise. Sie schreibt so wie jeder schreiben könnte, der Heute nach einem Burn-Out oder einer Depression in einer Klinik landet und dort nicht auf Wahnärzte trifft. Sie schreibt, wie ich über die Klinik vielleicht hätte schreiben können, hätte man mich dort nicht traumatisiert. Aber dies ist eine andere Geschichte...

Ich finde so ein Buch gerade heute wertvoll, denn es erzählt in erster Person wie sich ein Mensch fühlen kann, der nicht mehr zu recht mit dem eigenen Leben kommt. Es erzählt davon wie nicht alle Psychiatrie schlecht ist — ganz im Gegenteil. Das Buch erzählt zum Beispiel wie sich Menschen in einer Klinik unglaublich schnell näher kommen, weil keine Barriere bestehen. Es erzählt, wie ein Klinik-Aufenthalt eine positive Erfahrung sein kann, wo man Energien tanken und zu neuen Perspektiven gelangen kann. Es erzählt vom inzwischen so alltäglichen Kampf eines ganz normalen jungen Menschen, dem Beruf, Beziehung und schöne Wohnung nicht mehr als Sinn des Lebens ausreichen. Es erzählt von der immer grösseren Kraft die man benötigt um Morgens aufzustehen, bis man schliesslich nicht mehr aufstehen kann. Wenn es soweit ist, muss etwas geschehen. Von diesem Etwas erzählt dieses Buch.

Denn das Einzige was wir in derart verrückten Zeiten tun können, ist zu versuchen selbst etwas weniger verrückt zu sein. Vielleicht, in dem man sich zugesteht, zumindest 8 Wochen lang verrückt sein zu dürfen.






Verrückt ist relativ. – Eva Lohmanns großartiger Roman über normal, verrückt und sich selbst.

Verrückt ist doch jeder, der in die Klapse kommt. Mila also auch. Acht Wochen wird sie erst mal bleiben. Was sie da soll? Und was es eigentlich heißt, normal zu sein? Wer weiß das schon. Auf jeden Fall begegnet sie einer Menge Verrückter – und endlich auch wieder sich selbst.

»Der Tag, an dem ich in die Klapse komme, ist ein Donnerstag« – so beginnt Eva Lohmanns autobiografischer Roman: Ihre Heldin Mila ist müde, unendlich müde und traurig. Dabei ist sie noch keine dreißig. Aber der Job frisst sie auf, und der Sinn ihres Daseins ist ihr aus dem Blick geraten. Mit Depression und Burn-out wird sie in eine psychosomatische Klinik eingewiesen, auch wenn das bei ihren ambitionierten Eltern alles andere als populär ist und nicht nur bei ihrem Freund eine gewisse Beängstigung auslöst. Denn niemand von denen, die an einen solchen Ort kommen, ist doch normal, oder? Aber wie verrückt ist Mila eigentlich? Und kann man unter lauter Kranken überhaupt den Weg zurück ins richtige Leben finden? – »Acht Wochen verrückt«, der so unverstellte wie pointierte Roman über das Verrücktsein in normierten Zeiten. Von einer Erzählerin, deren scharfe Beobachtungsgabe niemanden verschont.



Eva Lohmann: Eine ganz normale junge Frau mit blauen Augen, die eines Tages in der Klapse landete und dann wieder zu fliegen begann.

Eva Lohmann, Bild von Markus Höhn