March 22, 2009

Profi-Blick

War mit einer Mode- und Lifestyle Kolumnistin unterwegs, auf einem Spaziergang an der Sonne, bei diesem wunderschönen Wetter. Wir hatten beide, ohne es thematisiert zu haben und ohne einen bestimmten Plan oder ein Ziel, spontan, das Verlangen in die Natur zu gehen. Unterwegs sind wir auf verschiedenste Tiere gestossen, einige davon waren in der Wildnis zu Hause. Und es war für mich die grösste Freude mitzuerleben, wie meine gute Freundin sich begeisterte bei jeder neuen Begegnung, wie ihre Augen zu gläntzen begangen und ihr wunderschönes und ansteckendes Lächeln auf ihrem gesamten Gesicht zu strahlen begang. Es war für mich beeindruckend zu sehen, wie sie zu jedem Tier sofort ein direktes Draht zu finden schien. Ja, so schien es mir.

Aber eigentlich wollte ich von ganz was anderem erzählen.
Wir trafen natürlich auch Menschen, zwischendurch. Und wir sind von Zürich aus gestartet und auch nach Zürich zurück gekommen, am Abend. Meine Bekannte musterte jeden Menschen den ihr vor die Augen kam, als ob ein Programm am laufen sei und der Scanner - in ihren Augen versteckt - das Programm mit Daten füttere. Sie machte dies während dem wir eine animierte und lustige Unterhaltung führten und das Gespräch litt keineswegs unter der Nebenbeschäftigung: Ein Multitasking-Talent. Hin und wieder sah ich, wie sich ihr Gesicht zum Ausdruck des gerade erweckten Gefühls verwandelte. Je nach Passant der gerade durch den Scanner erfasst wurde, ging die Palette der Reaktionen von mürrischem Schimpfen über kurzes Ausstossen von Luft und ein Rollen der Augen bis hin zu offenem Strahlen und Worte des Lobs. Ihr Profi-Blick war am Werk sobald sie sich unter Menschen befand, unaufhörlich. Völlig automatisch und ohne dazu ihr Willen zu benötigen, sah sie die ziwilisierte Welt aus Schuhen, Kleider und Accessoires stets mit ihrer Profi-Sicht. Sie sah die Menschen und ihre Gewohnheiten, ihre Bedürfnisse und Sehnsüchte als buntes, sich andauernd verändernde Gemälde, ständig neu zu entdecken, interpretieren und geniessen. Kolleginen und Kollege, Vortgesetzte, Bekannte, Freunde... Alle fragen sich immer wieder, ob diese Begabung angeboren oder antrainiert sei.

Ich hörte komische Geräusche von meiner Freundin kommen, kurze Luftstösse und unterdrücktes Kichern, Räuspern, wieder Luftstösse... Ich sah sie an und folgte ihren Blick. Auf der anderen Seite des Platzes, ein Mann - riesengross, etwas zwischen einem Kleiderschrank, einem alten Bauernhaus und einer abgewetzten Matratze - in Begleitung einer zierlichen und feinen jungen Dame. Er, dunkelhaarig, kräftig gebaut, seine Erscheinung reichte schon, um Eindruck zu machen. Sie - Blond, feine Metallbrille, ein wenig strenge aber nicht unangenehme Ausstrahlung die durch Lächeln sofort viel freundlicher und vertrauenswürdiger erschien - reichte dem Mann etwas mehr als über den Bauchnabel. Der Anblick der Beiden, nebeneinander, war schon ein ganz spezielles Bild und, je nach Laune des Betrachters, von amüsant über herzig bis hin zu skurril...

Ich assozierte ihr Anblick sofort mit einer intelektuellen Beschäftigung - angehende Professorin der Philosophie, oder das Organigramm erklimmende einer Non-Profit Organisation (UNO, Rotes Kreuz, usw.) im Besten Fall. Mit Pech wäre sie gerade dabei, bei PWC ihren Mann zu stehen, oder bei Roche das internationale Marketing am restrukturieren, mit Focus auf die aufkommenden Märkte.

Er war - wie die Faust auf's Auge zu ihr passend - die Selbst-Verliebtheit, Selbst-Überschätzung, das Resultat eines zu gross geratenen Egos. Ja, selbst in diesem XXXXXL Modell einer menschlichen Hülle, fand das Ego dieses Mannes nicht genügend Platz um in nicht völlig unangenehmer und schmerzender Position das Leben leben zu können. Die Hülle musste so eng und schmerzlich unbequem für das Ego sein, dass jeder Tag, jede Stunde von Unwohlbefinden begleitet war. Er hätte Besitzer einer grossen Metzgerei-Kette sein können, oder Account Manager und für alle Geschäftsbeziehungen mit Angola und restliches Afrika Verantwortliche eines Erdöl-Weltkonzern, der sich gerade intensiv in der Phase der Diversifizierung befand. Er hätte aber auch ein verpasster und verbitterter AmericanFootball Spieler sein können.

Plötzlich konnte sich meine Freundin ganz einfach nicht mehr beherrschen: Sie begang lautstark zu gröhlen, zu kommentieren, zu verspotten. Ihr Lachen war dermassen, dass sie nicht einmal richtig sprechen konnte. Sie brachte keinen Satz zu Ende. Ehrlich gesagt, ich habe nicht wirklich verstanden, was genau meine Freundin in Erregung brachte, was so unglaublich Lustig war. Ich verstand nicht einmal, was genau so speziell und ausserordentlich an den Beiden sein sollte... Mitbekommen, habe ich was mit Farben und Streifen und horizontaler Streifung die völlig unvorteilhaft eine solche Postur verhüllte. Aber das wirklich witzige schienen die Farben zu sein.. Irgendwas von abgeschaut von irgendein berühmter Star-Designer! Irgendwas von inzwischen schon in den Lagerhäuser der Mode-Metropolen vermottete Restposten!

Es war ein wahres Vergnügen, meiner Freundin zuzusehen: Ihre Spontanität und Unbefangenheit, ihre Ausstrahlung, ihr kritisch sein ohne sich aber wirklich ernst zu nehmen, oder schon gar nicht das Kritisierte zu etwas wichtigeres zu machen als es in Wahrheit schlussendlich war. All dies, all diese Lebensfreude wärmte mir das Herz. Und um so mehr wo ich doch wusste, dass meine Bekannte vor sehr kurzer Zeit ganz schlimme Zeiten überstehen musste. Sie hatte erst gerade aus einer sehr schlimmen Krise den Weg zurück ins Leben gefunden, Leben dass ihr noch vor wenigen Monaten so weit entfernt erschien, dass es genau so gut auf dem Mond hätte sein können!

Und laufte sie an meiner Seite, lachte sich krumm und schwafelte irgendwelche für mich unverständlichen Kommentare vor sich hin.

Mein Blick wanderte zurück zur Ursache für solche Aufgeregtheit und sah wie das Paar richtung Kaserne-Gebäude laufte. Sie, winzig erscheinend an seiner Seite. Er, mit diesem Gelb-Violett gestreiften Hemd...

Ich, ich war einfach froh, eine solche Freundin an meiner Seite zu haben. Ich brachte meine Hand an ihre Backe, streichelte sie sanft, und küsste die andere Backe. Dieser Duft! Wieder war dieser Duft da, an ihrem Hals, an ihren Haaren, an ihrer Haut! So ein wunderbarer Duft... Ja... Ja, es tat mir gut und es schauckelte mein Herz... Ich sah sie an. Ich sah ihr in die Augen. Sie blickte zurück, in meine. Die Zeit blieb stehen, die Welt und das Universum blieben stehen. Und ich, inmitten von diesem fabelhaften Universums, ich war dabei mich zu verlieben. Unsterblich.