October 04, 2008

vor dem NICHTS

Mein Dickerchen

Es gehen immer wieder einige Filme vor meinem geistigen Auge ab.

In einem, weigert sich mein Zimmergenosse auf der Psychotherapie-Station, dein Kasperle-Theater mitzuspielen, mit der Begründung „Ihr macht diesem Kerle ja eine komplette Hirnwäsche!!!“

BRAINWASHING
Gratuliere! Aber dazu stehen kannst du nicht...

Dazu bist du zu sehr ein Schlappschwanz!
Ja, du liest richtig, SCHLAPPSCHWANZ!!!

Ich nehme das wieder hier auf, weil ich in meinen Patienten-Unterlagen gelesen habe, dass ich dich so betitelt habe. Das wäre ja in Ordnung, ich habe es gesagt, es ist eine Beleidigung, es gehört sich nicht. Um sich ein Bild eines Menschen machen zu können, gehören auch solche Details dazu.

Was mich aber so wütend gemacht hat, ist die Tatsache, dass kein winziges Wörtchen darüber stand, dass ich in den selben 5 Minuten, gröbster VERTRAUENSMISSBRUCH vorgeworfen habe.
Und einzig aus einem solchen Kontext entsteht eine Beleidigung wie die oben.
Aber, dass du mein Vertrauen missbraucht hast, dass scheint ein vernachlässigbares Detail zu sein, gemäss eurer Dokumentation.

Ist das nicht seltsam, irgendwie? In meinen Augen, jedenfalls, ist es mehr als seltsam!


Und da ich ja noch SOOOOO lange nach einem Sinn gesucht, gewartet, gehofft habe, schrieb ich dir am 17. 06. 2008 den Brief, hier unten.
Als auch dieser absolut keine Reaktion bewirkte, begang ich erst langsam zu realisieren, wie verdammt egal dir die ganze Geschichte war.
Erstarrt, mehr als je zuvor, konnte ich nicht glauben, dass niemand Verantwortung tragen musste.
Ich verstand die Welt nicht mehr...



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Xxxxxx, 17. Juni 2008

Guten Tag Herr Dr. Y und Frau Dr. Xxxxx
Wieder einmal muss ich Ihnen etwas mitteilen.
Glauben Sie mir, mein grösster Wunsch ist es, dass dieses das letzte Mal ist, wo ich das Bedürfnis habe Ihnen was zu sagen.
Nichts möchte ich mehr im Moment, als diese Zeit hinter mir lassen zu können und endlich Seite wechseln können - das nächste Kapitel aufzuschlagen- im Buch meiner Gedanken und Erlebnisse.
Doch was folgt muss ich unbedingt loswerden und denke, dies wird mir auch helfen, endlich damit abzuschliessen.
Ich möchte noch betonen, dass ich mich an Herrn Dr. Y wende, der in meinen Augen die letzte Verantwortung für die getroffenen Entscheidungen von Seite der Therapeuten und Pfleger im Rahmen meines Aufenthaltes.
Frau Dr. Xxxxx möchte ich einkopieren, weil ich die Zusammen-Arbeit sehr geschätzt habe, und Ihre Hilfe für mich massgebend gewesen ist. Wie weit sie mit den Entscheidungen zu tun hat, kann ich nicht beurteilen.
Ich werde Ihnen einfach verschiedene Dinge erzählen, wie sie mir in Sinn kommen. Ich bin Ihnen bestimmt nichts schuldig, möchte dennoch, dass Sie verstehen, was angestellt wurde und weshalb es eine solche Reaktion meinerseits auslöste.
Erstens müssen Sie wissen, dass diese Erfahrung ziemlich sicher die schlimmste in meinem Leben war.
Und, glauben Sie mir, ich habe viele verdammt schwierige Erlebnisse hinter mir.



  • Da sind mein Vater und mein Grossvater verstorben.
  • Ein paar wenige Kollegen waren wie Brüder für mich.
    Der eine, mit dem ich gerade recht intensiven Kontakt hatte, ist an plötzlichem Asthma-Tod gestorben.
  • Durch die Drogen-Sucht habe ich recht krasse Sachen erlebt und Situationen durchgestanden, die definitiv im Grenzbereich zu platzieren sind.
  • Mein Bruder - grosses Vorbild in meiner Kindheit - ist 3x knapp am Tod vorbei gekommen und hatte Persönlichkeits-Veränderungen. Das dritte Mal ging es um Selbstmordversuch. Inzwischen hat er den Kontakt zu meiner Mutter und mir abgebrochen und wir wissen nicht einmal ob er noch lebt.
  • Ich wurde Entführt, mit Waffen an der Schläfe, geschriene Mord-Drohungen, und vermummten Männern mit Maschinen-Gewähre.
  • Der Sohn Xxxxxx ist letzten Sommer an Krebs erkrankt und ist auch in Lebensgefahr gewesen. Seine OP hat 12 Std. gedauert, wegen Komplikationen.
  • Und so weiter und sofort... Ich könnte diese Liste noch um ein halbes Dutzend Themen erweitern.

Stellen Sie sich vor, keines dieser Erlebnisse hat mich so gezeichnet wie was mit Ihnen geschehen ist.
Nun, in Ihrem Bericht steht von einer "Kränkung". Eine treffendere Bezeichnung, die nicht Untertreibung beinhaltet, ist in meinen Augen eher "Trauma". Ich bin nicht vom Fach, aber die Tatsache dass ich Monate lang mit diesem Thema kämpfe, dass ich Wochen nach Entlassung beim Besuch meiner Mutter etwa 10 Wörter mit ihr getauscht habe, dass ich noch in diesen Tagen weine wegen den Erlebnissen, deutet für mich definitiv auf ein Trauma.
Doch, ich bin dankbar weinen zu können, denn dies ist während Monaten gar nicht möglich gewesen.

Das Geschehene hätte reibungslos, in ähnlichen Rahmen, passieren können, ohne mich zu traumatisieren, wenn Sie nur anders mit mir umgegangen und gesprochen hätten.
Das heisst: die Entlassung von der Psychotherapie-Station und der Kontakt-Abbruch mit Xxxxxx sind nicht per sè die problematischen Ereignisse.
Die Art und Weise wie es dazu kam, dies ist das echte Problem. Es geht hier nicht um Kränkung im Sinne von verletzten Stolz, Image-Verlust oder irgend so was. Ich denke mit Sicherheit behaupten zu können, dass Ego hier eine wahrhaft zu vernachlässigende kleine Rolle gespielt hat.

Sie haben den "harten Kerle" raus gelassen. Ich weiss nicht aus welchem Grund; leider konnte ich nie ausschliessen, dass Sie sogar teilweise aus Kränkung so gehandelt haben. An dem Abend habe ich Ihnen gesagt, ich würde für "nichts auf der Welt" auf die Akut-Station gehen. Als Sie dann insistiert haben, habe ich Ihnen beim Zustimmen gesagt, ich würde Ihnen vertrauen und Sie sollten diese Vertrauen nicht missbrauchen.
Und genau dies ist geschehen.
Man hat mich Wochenlang auf der Akut-Station hängen lassen, und konnte genau zusehen wie es mir immer schlechter ging - Depressionen und Aggressionen.
Niemand vom Aertze-Team, ausser Dr. Xxxxxx, hat irgendwas unternommen, um mich abzuholen.
Und dies ist für mein Verständnis grob Fahrlässig.

Weshalb es mich so getroffen hat?



  • Ich habe Ihnen und Frau Dr. Xxxxx zu 100% vertraut.
  • Ich war extrem Verletzlich - Sie haben die Augen verdreht als ich wiederholte, dass ich mit "einzig mit einem Feigenblatt" in die Klinik eingetreten bin. Doch, ich denke es ist nicht so schwierig zu verstehen, was ich damit meinte. Vor Eintritt, hatte ich mein ganzes Leben losgelassen, wusste gar nicht Bescheid über meine Versicherungsdeckung und habe sogar das Risiko in Kauf genommen, eventuell eine Zeit lang vom Sozialamt abhängig zu werden – so entschlossen war ich was Grundsätzliches in meinem Leben zu ändern.
    Alle Rahmenbedingungen, wie z.B. diese, hatte ich deponiert und sollten Ihnen bekannt gewesen sein.
  • Ich hatte mehrmals kommuniziert, dass es mit meiner Frau grössere Probleme geben könnten, während der Trennung, und dass es mir wichtig war, möglichst raus lassen.
    Prompt, durch die abrupte Entlassung, bin ich in das alte Umfeld geraten und es gab Probleme und Streite.
  • Obwohl ich zu beginn gesagt hatte, ich könnte für eine Übergangsphase in die alte Wohnung – mit der Familie - zurück, war dies nach einiger Zeit genau das letzte was ich wollte, weil ich gemerkt hatte, dass es zu gröberen Belastungen für alle Beteiligten kommen würde.
    Obwohl ich auch diese neue Umstände kommuniziert hatte, wurde mir keine andere Wahl gelassen, als in meine alte Wohnung zurück zu kehren.
    Dies ist definitiv sehr sehr schwierig für mich gewesen, in einer Zeit in der mich eben die Ereignisse in der Klinik beschäftigten.
  • Frau Dr. Xxxxx hatte ziemlich genau mitbekommen, wie schwierig für mich der Kontakt zu meiner Frau war, und wie sehr jedes Zusammentreffen mir zusetzte.
    Ich sehe es auf jeden Fall als Teil des Auftrages eines Therapie-Teams, einen Patienten zu unterstützen, sich vor solch extremer Verletzlichkeit schützen zu lernen.
  • Dazu kam noch eine erhöhte Verletzlichkeit durch das Verliebt sein.
  • Der ganze Elan und Schwung den ich hatte, wurden mir auf brutalste Weise genommen, in dem man mich (bildlich) "im Flug abgeschossen hat".
  • Ich habe Monate verloren, in verschiedensten Bereiche, durch dieses Erlebnis. Fatal könnte so etwas für das Berufsleben sein.


Fazit: für mich war Ihr Verhalten ein grober Vertrauensbruch.

Ich bin der Überzeugung, dass dieser Vertrauensbruch nicht nötig gewesen wäre. Wenn Sie mit mir kommuniziert hätten, wäre es Ihnen ohne Probleme gelungen, das zu erreichen, was Sie erreichen wollten, ohne mich zu traumatisieren.
Meine Einstellung ist immer so gewesen, dass ich alles Sinnvolle und Notwendige (für mich, Xxxxxx oder meiner Familie), auf jeden Fall gemacht hätte.

Während Wochen habe ich mir den Kopf zerbrochen, weshalb es überhaupt zu diesem Vertrauensbruch gekommen ist. Da ich nie zu einer schlüssigen Antwort gekommen bin, und noch viel weniger eine Hilfe in diese Richtung vom Ärzte-Team erhalten habe, möchte ich noch einige Sachen bemerken, die mir durch den Kopf geschossen sind als mögliche Ursachen.




  • Ich habe Ihnen nichts - rein gar nichts - verheimlicht.
  • Ich habe keine Sekunde lang irgendwie die Therapie boykottieren wollen.
  • Ich habe keine Sekunde lang die Therapie ins Lächerliche ziehen wollen.
  • Falls es für Ihren Begriff zu viele "Ausser-Therapeutische Kontakte" gab, ist dies nie mit Absicht meinerseits passiert.
    Und ich bin absolut sicher, dass andere involvierte Menschen nur mit guten Absichten gehandelt haben.
  • Ich habe mich keine Sekunde lang als "Therapeut" von Xxxxxx angesehen, und noch viel weniger als "einzig mögliche Therapie".
    Mir ist immer bewusst gewesen, dass unsere Begegnung ein Glücksfall für beide gewesen ist. Das weitere Geschehen, habe ich nie bestimmen wollen.
  • Als es um die Wohnungs-Suche ging, habe ich keine Sekunde lang von der Klinik erwartet, dass ich irgendwie in einer Wohnung oder WG mit Xxxxxx untergebracht werde.
  • Die schwierigen Rahmenbedingungen die ich gesetzt hatte waren aber absolut ernst gemeint (WG oder, wenn alleine, Mehrzimmerwohnung – heisst: keine 1Zm.-Wohnung alleine, weil mir der Dach auf den Kopf fallen würde).
    Diese Anforderungen habe ich nun alleine erfüllen können, da ich eine preislich erschwingliche 3Zm.-Wohnung gefunden habe, die ich alleine bewohnen werde.
  • Eventuell war ich nicht mehr tragbar auf der Psychotherapie-Station. Wie schon gesagt: ich habe die Therapie nie gering geschätzt oder sabotieren wollen. Falls ich ganz einfach von der Station raus sollte, wieso wurde nicht mit mir darüber gesprochen und z.B. die Möglichkeit einer Versetzung auf eine Aussenstation in Betracht gezogen? Dies hätte mir die Rückkehr in die alte Wohnung erspart.


Was ich Ihnen schlussendlich vorwerfe?




  • Mich auf der Akut-Station einfach im Stich gelassen zu haben.
  • Mich und viele Menschen denen ich was bedeute in eine völlig krasse Situation gebracht zu haben. Freunde von mir wurden durch die Umstände gezwungen, mich anzulügen.
  • Xxxxxx musste mir sagen, dass mein Wille sie nach der Arbeit in Klinik & Gut zu treffen, krankhaft sei. Dito: dass meine Liebe krankhaft ist.
    Nun, wenn Liebe in einer Psychiatrischen Klinik als krankhaft bezeichnet wird, muss etwas mit der Klinik nicht stimmen, wo Liebe in meinen Augen die beste Medizin für die meisten Probleme der Menschheit ist.
  • Mich in eine Situation gebracht zu haben, in der 2 gravierende Einschnitte in meinem Leben nicht aufgelöst werden konnten.
    Leitender Arzt Dr. Xxxxxx sagte mir, heutzutage muss man im Stande sein, solche nicht aufzulösende Situationen auszuhalten. Meiner Meinung nach hätte ich eine der beiden ohne Probleme bewältigen können, doch Ihr Verhalten brachte mich in Teufels Küche.
  • Ihren Auftrag nicht erfüllt zu haben, in dem Sie mich Situationen ausgeliefert haben, die sehr sehr schwierig für mich waren und weswegen ich in die Klinik eingetreten bin.


Ich hatte eine der besten Zeiten meines Lebens in der Klinik.
Nach dieser Zeit habe ich mich in einem Film wiedergefunden, der schräger nicht hätte sein können, und das zu einem Zeitpunkt in dem ich äusserst verletzlich gewesen bin.
Wenn Sie dies nicht gemerkt hatten und dennoch so agierten, finde ich hätten Sie zumindest die Verantwortung für Ihr Handeln übernehmen müssen und mir entgegen kommen.
Im Fall, Sie hätten dies in Kauf genommen, kann ich nur von grober Fahrlässigkeit reden.

Gott sei Dank habe ich nie an die Umsetzung gedacht, doch zum ersten Mal in meinem Leben, konnte ich nachvollziehen wie sich mein Bruder gefühlt haben muss, als er den Selbstmordversuch machte.
Zum ersten Mal in meinem Leben, habe ich den tieferen Sinn nicht mehr erkannt und den Willen zu Leben nicht mehr gespürt.
Und das alles verdanke ich Ihnen!

Xxxxxxx Xxxxxxxxx


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Zu diesem Zeitpunkt glaubte ich noch, das Schlimmste schon überstanden zu haben und wieder auf dem Weg nach oben zu sein.
Doch, wie sich leider zeigte, musste noch einiges an dreckigem Wasser unter die Brücke fliessen, und Gott allein weiss, wieviel und ob noch dazu kommen muss.

Ich kann nur beten und an mir arbeiten, auf dass der Tiefstpunkt nun überwunden ist.
Dir ist hoffentlich bewusst, dass an dem Ort an dem, wenn Gott will, ich mich in einigen Wochen befinden werde, ich mich schon vor Monate hätte befinden können, wenn du nicht so „künstlerisch“ in meinem Leben reingepfuscht hättest???