August 11, 2010

übergabe & küchenschabe

 
Ich war nun seit knapp einer Woche aus der Gummi-Zelle draussen. 3 Tage lang hatte man mich dort festgehalten, fixiert, gegen meinen Willen Medikamente verabreicht, gedemütigt, entwürdigt — aber dies habe ich schon alles erzählt. Was ich nicht erzählt habe, ist was eines Tages geschah. Seit einer Woche war ich also wieder auf der Abteilung, sowas wie ein Alltag spielte sich ab. Ab dem ersten Tag, weigerte ich mich das Medikament zu nehmen, irgendwas gegen Psychose. Und alles lief bestens. Am 2. Tag traf mich Doktor No und gestattete mir sogar die Station zu verlassen: Wie jeder zurechnungsfähiger Mensch sonst auch. Die Medikament wurden von den Pflegern während den ersten Tagen angesprochen, dann nicht mehr. Ich dachte schon nicht mehr daran.

Eines Tages kommt eine Pflegerin auf mich zu und sagt
LET US SHINE, Sie müssen noch Ihr Medikament nehmen!
Ich sehe sie wahrscheinlich an als würde ich sie gerade in der Luft in Stücke zerrreisen, da kommt sofort ein Kollege und sagt zu ihr
Nein nein, das ist was, das muss ich dir erklären!
Er lächelt mich an und gibt mir zu verstehen, die Sache sei damit erledigt.

Da kommt also eine Pflegerin auf mich zu und hat keine Ahnung was in der letzten Woche sich abgespielt hat, welche Medikamente ich nehme und welche nicht? Ausser der Tatsache dass ich stark annehme, irgendwie schon nicht völlig unbemerkt bei den Pflegern geblieben zu sein, mal angenommen ich wäre ein Patient wie jeder andere gewesen, dann frage ich: Was für eine verdammt lausige Übergabe machte ein Dienst zum Nächsten?

Da sind Computer-Einträge bis zum Abwinken, da sind die Medikamente-Einnahme Listen, da sind die Berichte der Pfleger die die Schicht beenden!


Monate später erzählte mir Küchenschabe, mit dem ich regelmässig Kontakt hatte, er sei HIV-Positiv und weigere sich seine Medikamente zu nehmen, aus Überzeugung. Küchenschabe ist Schwul, in anderen Zeiten war er eine Drag-Queen und machte Shows. Er kann gut zeichnen und kann stundenlang die dümmste Witze über Homosexuelle vortragen. Als ich ihn kennenlernte, sagte ich ihm ziemlich bald, er sei ein Arschloch, weil er sich an der harmlosesten und liebsten aller Patientinnen ärgerte, die keiner Fliege etwas angetan hätte und die man praktisch nicht bemerkte. Die arme hatte die eine oder andere Zwangshandlung, war aber der liebste Mensch den man sich vorstellen kann. Jedenfalls sagte ich zu Küchenschabe "Jeder ist auf seine Weise ein Arschloch". Das gefiel ihm wahrscheinlich nicht so sehr.

Doch Küchenschabe hatte auch eine sehr fürsorgliche Seite. Er kümmerte sich um die Stationsküche wie kein anderer, er machte Kaffee für alle, er putzte, machte den Abwasch, putzte wieder, backte, putzte, kochte, putzte, schmeisste jeden aus der Küche den er nicht mochte, putzte, kochte, putzte. Irgendwie, durch die blöden Sprüche, kam man sich dennoch näher.

Als er dann aus der Klinik kam, suchte er Kontakt zu mir, und mir war es recht. Doch dann begann er zu verstehen zu geben, er wisse über die Junge Dame mehr als ich. Da sagte er mir zum Beispiel, ich müsse mal Italo (den Künstler-Pfleger) privat kennenlernen: Der Hammer! Oder er erzählte mir, wie schlimm die Ärzte- und Pflegergemeinde in der Harten Klinik seien: Pflegerin Pappkopf habe ihm eindringlich geraten, sich von mir fern zu halten. Er aber, wisse es viel besser und schätze den Kontakt zu mir! Einmal erzählte er, wie er die Junge Dame getroffen habe, als er sich für die WG vorstellte wo sie wohnte. Er soll sie gefragt haben
Hattest du nicht etwas mit LET US SHINE?
Die Junge Dame, erzählt er, habe ihn links stehen lassen, habe ausgesehen als hätte sie 1000 Geister gesehen, und sei in den oberen Stock geflüchtet. Auch ihre Betreuerin habe ausgesehen, als habe sie 1000 Geister gesehen.

Immer und immer wieder versuchte er mich dazu zu bringen, auf EBay zu surfen. Ich weiss nicht warum und wieso: Vielleicht war dort meine Kamera zu verkaufen? Oder sonst was? Diesen Gefallen habe ich den Wahnhaften nie getan...

Da war auch dieser Blinde, der Patient in der Harten Klinik war. Nach meinem Austritt, soll er auch von Doktor Y aus der Psychotherapie-Station geschmissen worden sein: Dies sei, laut Küchenschabe, eine völlig gewöhnliche Praxis dort. Gezeigt hatte man sie mir übrigens auch schon mit der Patientin Pfffuff, die den Judas der Jungen Dame spielen sollte. Diese wurde auch "kurzfristig" für eine Nacht von der Psychotherapie-Station von Doktor Y in die Iso-Zelle der Akut-Station gesteckt. Im Gegensatz zu mir, hat sie übrigens "alles verwüstet" in dieser Zelle: Mit dem Bauchnabel-Piercing das ihr verbotenerweise nicht abgenommen wurde, schlitzte sie die Matratze komplett auf, so ihre Erzählung am nächsten Tag. Irgendwie ein unglaubliche Flasche, dieser Doktor Y, wenn er nach so langen Abklärungen und mit so viel Vorbehalt seine Klienten aussucht, und dann trotzdem ununterbrochen Patienten aus seiner Abteilung schmeissen muss oder sie sogar in die Iso-Zelle verfrachtet. Irgendwie kein gutes Zeichen, für eine Psychotherapie-Station, oder? Aber vielleicht kann mir Doktor Y den Begriff Psychoterapie einmal erklären, vielleicht habe ich ja nur falsche Erwartungen! Komischerweise, decken sich meine damalige Erwartungen eigentlich sehr gut mit der Werbe-Broschüre der Psychotherapie-Station der Harten Klinik... Nicht wahr Doktor Y? Vielleicht sollte ich einmal eine neue Broschüre gestalten, die den Tatsachen eher entspricht. Wir können dann einen Termin für die Übergabe abmachen, Doktor Y, vielleicht im Gerichtssaal?

So kam es, dass mich Küchenschabe, pardon Küchenschabe zu seinem Hausarzt mitnahm. Auch so ein Botox-Typ. Ich solle mitgehen weil die Praxis dieses Typen einen Besuch auf jeden Fall wert war: Ein Spiegel-Labyrinth. In der Tat war es ein Gruselkabinett, aus dem man ohne Beschilderung nie mehr rausgefunden hätte. Bei dieser Gelegenheit, auf dem Heimweg, erzählte mir Küchenschabe er sei HIV-Positiv, schon seit vielen Jahren. Doch er weigere sich um jeden Preis, die Medikamente zu schlucken. Dies bereite ihm nun aber grössere Probleme, weil sich die Ärzte weigern würden, bei ihm eine Hüften-Operation durchzuführen, die er dringend benötigen würde.

Erst vor einigen Tagen bekam ich ein Mail von Küchenschabe, man würde ihn dann und dann operieren, das Leben sei wunderbar, er backe wieder, ich solle doch mal vorbei! Im Schönen Schloss hat er mich aber nie besucht, obwohl ich dringend Besuch gebraucht hätte. Und, obwohl er doch Bekannte hatte, die gerade neben dem Schloss wohnen! Von dieser Bekannten erzählte er mir immer und immer wieder. Gesehen habe ich werde sie noch ihn. Aber ich freue mich für ihn, wenn das Leben wunderbar ist. Und ich hoffe für ihn, die Geschichte mit der HIV-Infizierung und dem Verweigern der Medikament sei wahr, denn sonst könnte es sein, dass ich ihm das Herz durch den Darmtrakt ziehen werde! Ich weiss, tönt eklig und brutal, ist auch nicht meine Art. Aber Küchenschabe weiss genau wie ich zu sowas komme, hat er doch als Erster solche Bilde benutzt! Oder Namen wie Kampf-Lesbe für die Pflegerin Pappkopf.

Küchenschabe ist ausserdem ein Mensch, der noch vor wenigen Hundert Jahren auf dem Scheiterhaufen gelandet wäre! Ja, hat er doch tatsächlich die Fähigkeit, in die Zukunft zu sehen. Da komme ich aus der Harten Klinik und suche mir eine Wohnung, um aus der gemeinsamen mit meiner Ehefrau zu können. Ich habe eine Zusage von einem Kollegen, der mir garantiert ich könne seine Wohnung übernehmen. Küchenschabe zweifelt daran, schon von ganz am Anfang. Als der Kollege untertaucht werde ich nervös, doch ich erreiche ihn telefonisch noch etwas mehr als 1 Woche vor dem vereinbarten Termin. Wieder bestätigt er mir, mit der Übernahme der Wohnung werde alles besten klappen. Dann taucht er wieder unter, auf nicht mehr wiedershen. Von Küchenschabe habe ich mindestens ein halbes Dutzend Mal gehört, wie er schon immer Zweifel an dieser ganzen Angelegenheit hatte! Und da frage ich mich: Woher um alles in der Welt soll Küchenschabe wissen, dass ich eine Wohnung — die mir mehrmals zugesichert wurde, von einer Person die Küchenschabe nicht im Entferntesten kennt — nicht bekommen werde? Er muss magische Kräfte haben! Woher sonst kann er mehr über diese Wohnungs-Übergabe wissen als ich??? Welche war die einzigst mögliche Verbindung zwischen Küchenschabe und der Person, von der ich die Wohnung übernehmen sollte? Die Harte Klinik! Der Eine war Patient dort, den Andern habe ich von der Kabin dort angerufen. Mehr kommt mir beim besten Willen nicht in den Sinn... Ah... Beide hatten die Telefon-Nummer der Jungen Dame.

Siehe auch den allerersten Post, womit alles Begann: Heute

Küchenschabe war da! Ganz von Beginn sollte er wissen, welchen Weg ich nehmen sollte, den Bach runter!

Ich? ich warte auf eine Übergabe! Die Übergabe der Medikamenten-Tabelle meines Aufenthalts in der Harten Klinik. Die Tabelle, die mir Lady Marmelade am Bildschirm zeigen wollte und die ich damals nicht sehen wollte (Bildschirme sind teils noch geduldiger als Papier). Lady Marmelade: Und, wo bleibt diese Tabelle? Sie haben mich doch gefragt, ob ich nicht nachsehen wolle! Sollen wir uns für die Übergabe vereinbaren? Vielleicht in Seebach, wo ich sie ja völlig zufällig einmal traf...