October 15, 2010

Gefühle am Morgen

 
Es ist schön, hier zu spazieren. Die warme und nach Kirschblüten duftende Luft versetzt mich in eine Welt zwischen hier und vielen Erinnerungen, angenehme Erinnerungen an Zeit leichten Herzens. Letztens habe ich oft an diese Strasse, an diese Kreuzung, an diesen Ort meiner Jugend gedacht. So oft bin ich hier durch, auf den Weg zur Schule, auf den Weg in die Klavierstunden, auf den Weg zu Freunden. 200 Meter weiter ist das Haus in dem aufgewachsen bin, in dem so viele Menschen mich besucht haben und Parties gefeiert wurden, wo ich so viele Träume geträumt habe. Ein bisschen weiter die Todeskammer, in der ich mich von Opa und von Vater verabschiedet habe, als sie von uns gingen. Daneben, die Kirche mit der Platanen-Allée, wo ich oft auf Bänken gesessen habe, allein oder mit Freunden, Tags und auch oft Nachts. Und die Wiese hinter dem Haus, auf der ich diesen einen berühmten Dorfpolizisten sah, zusammen mit seinen Kollegen, wie sie, Waffen in der Hand, den 2 Räubern nachrannten, die einen Raubüberfall in unserem Dorf verübt hatten. Dann, Tage später, findet die Polizei heraus, dass die Räuber keine 10 Meter von unserem Wohnzimmer übernachtet hatten, auf dem Grundstück des Nachbarn, hinter der Hecke. So viele Erinnerungen. Der Baum den ich gepflanzt hatte, vor dem Haus: Eine Betula Pendula. Ein schöner Baum, wie ich finde. Eine Birke, mit nach unten hängenden Ästen. So wie ich Trauerweiden für wunderschöne Bäume halte. Ich werde mal langsam hin laufen, zu dem Haus in dem wir gewohnt haben.

Ah, schön, es sind noch andere Menschen unterwegs, an diesem Frühlingstag. Sie haben ihren Hund dabei. Vielleicht kenne ich sie ja von früher. Komischer Hund, der ist ja riesengross... Nein, das muss ja ein Pferd sein, der Grösse nach. Nein, auch nicht... Was ist das? Ein komisches, oben weisses und unten silber und dann bläulich schimmerndes Fell hat das Tier. Und es ist so lang, dieses Fell. Wie das eines dieser asiatischen Büffel, oder sind sie aus dem amerikanischen Kontinent? Nein, es hat einen Rüssel... Einen kurzen Rüssel. Mein Gott, das Tier ist ja voll aufgeregt. Es ist sogar aggressiv. Es hat mich gesehen! Es beginnt zu rennen. Nichts wie weg. Wie schnell kann es wohl rennen? Was? Da ist nochmal Eins? Es kommt auf mich zu, von der anderen Seite? Dieses ist ja noch viel viel grösser! Das muss eines der Eltern sein, von dem Jungtier das ich zuerst gesehen habe. Nichts wie weg hier, in die ursprünglich Richtung! Mein Gott, ich werde hier nicht lebend raus kommen... Scheisse! Musste ja sein! Neben dem Jungtier ist das zweite Elternteil aufgetaucht. Und es scheint sein Junges definitiv verteidigen zu wollen. Das müssen ja 3 Meter Höhe sein! Ich bin verloren. Sie kommen alle näher. Diese Geräusche, dieses Beben der Erde bei jedem ihrer Schritte, dieses Schnauben und Lechzen. Zumindest ist es ein schöner Frühlingstag, an dem ich sterben werde. Bald ist es soweit. Hoffentlich spielen sie nicht mit mir, bevor sie mich töten, wie die Katze mit der Maus spielt. Höchstens noch 5 Meter Abstand. 3. 2. Bleib so kniend am Boden, die Hände über dem Kopf, und rühr dich nicht. Bald hast du es überstanden. Ich kann ihr Atem spüren. Sie sind hier. Alle 3. Jetzt gleich. Hab keine Angst, ist nicht die schlechteste Art, dran glauben zu müssen. Machs gut, geliebtes Leben. Machs gut, geliebte... Was ist denn los? Wieso werde ich nicht in der Luft zerfetzt? Oder in den Boden gestampft? Machen sie zuerst eine Theorie-Stunde für ihr Kleines? Da kommt noch jemand zu mir. Es ist ein Mensch... Er ruft etwas. Die Tiere kommen nicht näher. Sie müssen auf diese Stimme hören. Vielleicht ist es nicht heute, dass ich sterben werde? Kann das wirklich sein? Ein Albtraum! Nur ein Albtraum! Mein Gott, ich fühlte wirklich wie meine letzte Stunde geschlagen hat. Ein Albtraum, ist das menschenmöglich? Verdammt, ich hätte mir fast in die Hose gemacht. Ich dachte wirklich, es sei zu Ende. Mein Gott... Ich... Ich... Ich weiss nicht ob mir nach lachen oder nach weinen ist.


Bild von Joel Rea


Diese Stimmen! Diese Stimmen, ich kenne sie! Wow... Da sind ja so viele meiner Freunde. Sie sind alle hier. Ist das eine schöne Überraschung! Und scheinen bestens gelaunt zu sein. Ja, sie sind fröhlich am Festen. Mann, tut das gut! Gerade noch fürchtete ich um mein Leben, und nun sitzen wir hier auf dem Berg und schlürfen zufrieden an unseren Cocktails. Es wärmt mir das Herz, diese Menschen um mich zu sehen. Ich weiss von den Meisten, wie gern sie mich haben. Und ich weiss, wie gern ich sie habe. Ich kann mich wirklich glücklich nennen, solche Freunde haben zu dürfen. Wo gehen wir jetzt hin? In die Altstadt? Okay... Oh, da ist ja dieser Typ, der mir immer den Stoff besorgt hat. Er kommt auf mich zu. Er hat Geld in der Hand, und die kleinen Tüten, mit den Drogen. Er schenkt mir eins. Das ist schön, ich kann das jetzt wirklich gebrauchen, nach diesen Todesängsten. Ich gehe schnell dort in die Umkleide-Kabine, das merkt niemand. Mann, was ist denn das? Das ist der grösste Dreck den ich seit langem in den Fingern hatte. Dieses Arschloch! Was soll das denn? Ich habe ihn ja gar nicht angesprochen, ich habe nichts von ihm gewollt. Weshalb kommt er auf mich zu und schenkt mir dann etwas unbrauchbares? Da ist er ja. He, hallo! Was? So viel? Mal sehen... Ist mein letztes Geld, mein letzter Rappen. Wenn du es unbedingt haben willst, wenn du dir keine Skrupeln machst, bleibt mir ja wohl nichts anderes übrig, oder? Arschloch! Zurück in die Umkleide-Kabine. Ah, da sind ja andere Menschen, jetzt. Oh, die zwei junge Frauen kenne ich ja, und zwar bestens. Ich werde sie mal begrüssen. Was, sie drehen sich um? Sie laufen davon? Was ist denn los? Man könnte meinen, sie schämen sich. Was soll das? Diese Freundschaft war etwas besonderes! Und jetzt? Tun sie so, als würden sie mich nicht kennen? Scheisse! Scheisse, verdammte Scheisse! Ach, lass mich endlich einmal diese Drogen konsumieren, dann wird das weniger schmerzhaft sein. Also, auflösen... He, diese Stimme. Ist das nicht mein früherer Chef? Mit seiner Frau? Mann-o-Meter, ich konnte diesen Typ nie ausstehen. Verdammt, er hat bemerkt, dass ich hier drin bin. Sie lachen. Wenn er jetzt reinkommt, habe ich keine Chance mehr, das Zeugs zu verstecken! Der wird mich voll erwischen, wie ich hier Drogen auf aufbereiten bin! Muss das jetzt sein? Ja klar! Er ist ja auch schon hier an der Tür. Was hätte man sonst von diesem Typen erwarten können, wenn nicht dass er so reagieren und versuchen würde, mich jetzt fertig zu machen. Er lacht. Die Türe geht auf... Scheisse, ich verspreche dir, ich verpass dir eine Visitenkarte die du nicht vergessen wirst, für diesen Besuch, du verdammtes Arschloch. Ich bin sowas von wütend, ich werde dich blutig schlagen, diesmal, ist mir scheiss egal! Komm... Komm schon! Ein Albtraum! Nur ein Albtraum! Schon wieder ein Albtraum... Schon wieder ein Albtraum...


Bild von Roberto Rizzato


Bin ich aber diesmal wirklich wach? Oder geschieht gerade die nächste schräge Sache, nur um dann realisieren, dass ich unter den schlimmsten Lebensängste eigentlich nur geträumt hatte? Ich stehe auf. Ich rauche eine Zigarette auf dem Balkon, draussen ist es noch dunkel. Mann, bin ich durcheinander. Ich bin an meinen eigenen Schreien aufgewacht. Ich fühle mich so derart schlecht. Das ist ein Albtraum, so aufwachen zu müssen. Das ist ein wahrer Albtraum. So wie damals... Als die Geschichte mit dem Typen war, der mir sagte... Moment... Das ist ja wirklich geschehen. Wieso kommt mir das jetzt in Sinn, wenn ich an Albträume denke. Heee... Da sind ja nicht wenige Parallelen, zwischen den Ereignissen in meinen Träumen und was mir in den letzten Jahren wiederfahren ist. Ein Altbraum, ein richtiger Albtraum, was abgegangen ist. Was da abgeht! Und es hört nicht auf. Die Realität, die ich zu vergessen versuche, sucht mich wieder in meinen Träumen auf. Und die Träume, die bringen mich dann wieder zurück in die vergangene Realität. Ein Albtraum... Ein echter Albtraum... Zum Schreien!


Autor unbekannt