October 14, 2010

ehrlichkeit

 
Ehrlichkeit 1
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In der Harten Klinik habe ich bei zwei Gelegenheiten diesen Satz gehört
Und nun die wahrscheinlich ehrlichste Frage heute.
Dann folgte die Frage danach, ob ich weiterhin die Situation ohne Drogen werde meistern können. Beide Male kam diese Frage nach einem längeren Gespräch mit einem Pfleger, nach dutzenden von Fragen. Einmal ist es Italo gewesen, das zweite Mal war es der Pfleger der von den 2 Agenten sprach.

Mit Italo hatte ich ein längeres Gespräch über meine Ehefrau, die bevorstehenden Examen die sie in der Klinik machen musste — wobei Italo die Bemerkung machte, dass viele Frauen die verlassen werden solche Leiden erfinden würden, um den Partner unter Druck zu setzen — über die Junge Dame, über die Persönlichkeitsstörung Borderline, über meine Absichten für die nächste Zukunft, usw. Dann sagte er, eben, jetzt würde die wahrscheinlich ehrlichste Frage des Abends folgen. Dann fragte er mich, ob ich das Gefühl hätte, den Druck weiterhin ohne Drogen standhalten zu können. Ich antwortete, ich wisse es nicht. Für den Moment ja, sonst hätte ich ja jetzt mit ihm darüber gesprochen.

Kurz vor „Austritt“ aus der Harten Klinik, als ich noch der Schatten meiner selbst war, hatte ich ein Gespräch mit diesem anderen Pfleger. Dabei fragte er auch nach meinem Frauenbild und nach meinem Mannsbild. Er fragte mich nach meiner Beziehung zu meinem Bruder aus. Er fragte mich nach meinen Gefühlen ihm gegenüber aus. Und er wunderte sich, dass ich keine Wut sondern eher Mitgefühl und Trauer für ihn empfand. Dann folgte die wahrscheinlich ehrlichste Frage an diesem heutigen Nachmittag. Er erkundigte sich danach, ob ich es schaffen würde, ohne Drogen klar zu kommen. Zur Zeit ja, doch wie wird es in Zukunft aussehen?


Eins von inzwischen unzähligen Beispiele von „riesigen Zufälle“, die mir ab der Harten Klinik wiederkehren sollten. Ich hoffe doch sehr, besonders für Italo und das Vertrauen das ich in ihm hatte, dass zumindest dieser Zufall ein Hinweis für mich sein sollte. Dass in dem ganzen Wahnsinn der sich in der Harten Klinik abgespielt hat, dies ein kleiner Versuch gewesen ist, mir ein wenig Sinn in dem Unsinn zu übermitteln. Ich hoffe es... ganz ehrlich.

Bild von David Lachapelle



Ehrlichkeit 2
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Es ist etwas mehr als 1 Jahr her, dass ich nach Möglichkeiten für meinen Umzug suchte, weg von der Wohnung mit meiner Ex-Frau. Ich fragte einen Bekannten, der mir einen Namen gab: Es handelte sich dabei um eine Gruppe Leute die aus einem Christlichen Rehabilitationszentrum im Kanton Glarus mehrere kleine Unternehmen gegründet hatten, darunter eine Transport-Firma. Der Bekannte selbst war schon dort gewesen und hatte eine Zeit in diesem Zentrum verbracht. Er konnte diese Leute nur empfehlen.

Doktor Gassenjoe war auch in der Nähe. Als ich ihm von diesem Tipp erzählte, meinte er dazu
Nein... Das ist so 'ne Sache mit Junkies! Ich besorge dir eine andere Adresse.
Das ist, zur Erinnerung, der Arzt der Kontakt & Anlaufstellen der Stadt Zürich, der dort Milieu-Arbeit für Drogensüchtige leistet und somit oft das letzte Bindeglied für diese Menschen ist, zwischen ärztlicher Versorgung und Verwahrlosung. Es ist der Arzt, der mich zur Heroin-Abgabe schickte als ich ihm im Gespräch gesagt hatte, ich bräuchte einen guten Therapeuten, dem ich vertrauen könne. Es ist der Arzt der, als ich nach der Villa am Hönggerberg in Tränen in seinem Büro sass und fragte wer nun eigentlich der für mich verantwortliche Psychiater oder Therapeut sei, ausrief
Das ist doch jetzt egal!
Dieser Arzt also meinte abwertend zu einer Firma, durch ein Christliches Rehabilitationszentrum im Kanton Glarus entstanden, das sei ja nichts als so eine Junkie-Sache. Vielleicht wollte er ja mich damit parodieren. Ich hoffe es... ganz ehrlich. Denn es wäre noch schlimmer, wenn er wirklich mit einer solchen Einstellung Tag für Tag an die Arbeit gehen würde. Doch auch wenn er damit mich parodieren wollte, ist das nicht gerade ein Zeugnis von Intelligenz- und Durchblick-Armut? Denn, diese vermeintliche Parodie meiner Wenigkeit würde auf völlig falschen Tatsachen basieren, nämlich auf der verdrehten Lügen-Version der Harten Klinik. Und ich hoffe für diesen Arzt, dass er sich nicht in einer solch peinlichen Lage hat bringen lassen, wie schon andere vor ihm. Denn ich hatte noch eine gute Meinung von ihm, damals, als ich ihm noch das zuschrieb was eigentlich meine Leistung gewesen ist: Nämlich auf einen Arzt zu hören und mich auf einen Aufenthalt in der Villa am Hönggerberg einzulassen, trotz der schlimmen Erfahrung die ich ein halbes Jahr zuvor in der Harten Klinik erleiden musste.

Ich hoffe für Doktor Gessenjoe, dass er nicht wusste was mit mir in der Villa am Hönggerberg geschehen sollte, als er mich darauf ansprach an diesem Morgen in Zürich. Ich hoffe es für ihn... ganz ehrlich.

Autor unbekannt


Ehrlichkeit 3
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Ich sitze eines Tages im K&A und sage zu Emmy wie es doch der pure Wahnsinn sei, dass ich nicht mehr ins K&A dürfe (respektive dass ich nicht mehr dort mein Heroin konsumieren dürfe). Er widerspricht und sagt, mit dieser Medikamenten-Kombination würden man mir den Konsum im K&A Oerlikon nicht mehr erlauben: Vom Arzt so verordnet. Doktor Gassenjoe hat also diese Anordnung rausgegeben? Er ist ja der verantwortliche Arzt für alle städtischen K&As. Komisch irgendwie also, dass man in den übrigen K&As absolut nichts von diesem von Doktor Gassenjoe verordneten Verbot wisse — dort kann ich munter mein Heroin konsumieren, wie eh und je, obwohl Doktor Gassenjoe mich auch schon in diesen anderen K&As gesehen hat. Whatever...

Ich frage Emmy weshalb denn solch ein Verbot. Er sagt, es sei eine Frage der Verantwortung: Sollte mir etwas zustossen und ich würde zum Beispiel im K&A Oerlikon sterben, dann wäre die Verantwortung bei ihnen, den Sozialarbeitern und dem Arzt. Und da sie nun von meiner Medikamenten-Kombination wüssten, könnten sie das Risiko eines Zwischenfalls nicht mehr in Kauf nehmen. Nun, ausser der Tatsache dass der selbe Arzt dieses selbe Risiko in den anderen K&As anscheinend — und ohne das geringste Problem damit — auf sich nehmen kann, frage ich Emmy ob ihm bewusst sei, dass wenn ich nicht bei ihm (unter den Augen von Profis die mir eventuell helfen könnten) konsumieren dürfe, ich einfach ein paar Hundert Meter weiter ziehen würde um auf den öffentlichen Toiletten des Bahnhofs Oerlikon zu konsumieren. Ich bemerke, dass dort kein Emmy anwesend wäre, der im Falle eines Zwischenfalls erste Hilfe leisten könnte. Ich würde also auf der öffentlichen Toilette ohne Hilfe und ohne Chance sterben, anstatt vielleicht von einem Emmy gerettet werden zu können. Ich frage ihn ob das wirklich im Sinne einer solchen Institution sein könne. Er antwortet nichts.

Bemerkenswert ist auch die Tatsache, dass ich irgendwann wieder konsumieren darf, auch in Oerlikon. Ich weiss nicht welche Anweisungen und Unterlagen da zirkuliert haben, doch plötzlich darf ich wieder auch in Oerlikon. Irgendwie komisch, oder? Plötzlich darf man wieder das Risiko auf sich nehmen, einen Zwischenfall mit mir in Kauf zu nehmen? Welche Versicherung hat hier was gesagt? Seit es mir wieder erlaubt ist, dort zu konsumieren, bin ich ein Klient wie jeder andere: Es wird bei mir überhaupt nicht mehr aufgepasst als bei anderen. Interessant wie viele Gedanken und Sorgen man sich doch im K&A Oerlikon macht, um mein Leben. Oder ist es vielleicht viel interessanter, welche Gedanken man sich dort so macht?

Jedenfalls frage ich nochmals Emmy, ob es seiner Meinung nach denn besser sei, wenn ich auf der Toilette sterben würde. Er sagt dazu nur
So lautet der Beschluss und daran muss ich mich halten.
Danke für so viel Ehrlichkeit, Emmy... ganz ehrlich.

Autor unbekannt