January 28, 2010

wahr-nehmung

 
Es gibt so vieles... eigentlich sogar alles — die ganze Welt, das Universum um uns herum, schlussendlich die sogenannte Realität — bei dem das Sprichwort zutrifft
... im Auge des Betrachters.
Denn, was ein Jeder wahrnimmt, wie er seine Umgebung und die materielle Realität um ihn herum empfindet, registriert und am Schluss beurteilt, ist einzig und alleine das Resultat eines unvorstellbar komplexen Systems. Das Zusammenspiel, das Interagieren einer Unzahl von Nervensysteme, Sinnesorganen, Rezeptoren. Die kognitive "Dienstleistungen" verschiedener Organe. Bis hin zur Verarbeitung dieser Myriade von Informationen, dessen Filterung und Bereitstellung, für zukünftiges Abrufen. Bis hin zur Einordnung und Filterung um eine Kongruenz mit früheren Ereignisse zu erlangen. Hierbei spielen kulturelle und soziale Faktoren eine entscheidende Rolle.
Wahr - Nehmung
Dieses Deutsche Wort, meine ich, beschreibt dies recht gut. Es beinhaltet neben der "Korrektheit", neben der Affirmation, auch den aktiven Teil, die Aktivität also des "an sich nehmen". Dieser aktive Teil findet sich auch in vielen anderen Arten wieder, die Welt um uns herum zu verstehen, zu verinnerlichen. Entweder durch was an einen Verb erinnernd, oder mit einer Präposition.
Auf - Fassen
Auf - Nehmen
An - Eignen
Für [etwas] Halten
Und so weiter...


Franco Contarini portraitiert von Emilio Vedova


Was ich damit zum Ausdruck bringen möchte, ist das schon mal bei der Wahrnehmung und dem Verständnis verschiedener Ereignisse, die Person selbst schon eine grosse Rolle spielt. Bei jeder noch so als "universell" verstandenen WAHRHEIT , ist dessen Existenz und dessen "absolute" und "konstante" Realität schlussendlich nichts als was sich daraus im Auge des Betrachters ergeben hat.


So kommt es, dass die selbe Geschichte, die selben "objektiv" betrachteten Abläufe, dieselben Fakten zu 2 völlig verschiedenen Ereignissen entwickeln kann, wenn von 2 verschiedenen Menschen erzählt. Keiner der Beiden wird niemals ein Wort des Anderen als Lüge bezeichnen können, als "nicht der Wahrheit entsprechend". Und dennoch, können Gewichtung und Beurteilung ziemlich radikal auseinander driften. Und diese Diskrepanz kann am Schluss sogar zum Gegenteil führen, zum Beispiel in der Beurteilung der in den Ereignissen verwickelte Menschen.

Wer Opfer und wer Täter ist, lässt sich je nach Fall schlecht auseinander halten. Und die (oft durch kulturellen Hintergrund stark beeinflusste) moralische Verurteilung der Taten des einen oder eher des anderen Akteur, kann grundlegend verschieden sein. Je nach dem wer die "Wahrheit" gerade am vermitteln ist und je nach dem wer die "Wahrheit" gerade vermittelt bekommt.




Und dann kommen noch dazu — wir sind alles "nur Menschen" — ganz persönliche Aspekte. Sowohl in Bezug auf die Gesprächspartner wie auch auf die Wertung der Ereignisse aus den Erzählungen. Hat man einen guten Draht zum Übermittler der Wahrheit? Ist er einem sympathisch? Empfindet man ihn als unangenehm, von vornherein? Oder ist das Thema worüber es geht schon von anderen Erzählungen bekannt und schleicht sich so, wenn auch ungewollt, unvermeidlich Voreingenommenheit ein?

Wenn man sich dieser paar Dinge bewusst wird, wird einem auch klar wie man immer und immer wieder "auf der Hut" sein muss, wenn es darum geht Erzählungen als "Wahrheit" anzunehmen. Und noch viel genauer und vorsichtiger muss man sein, wenn man sich eine Meinung über Schuld und Unschuld bilden möchte. Denn es ist in der westlichen Welt inzwischen seit einigen 100 Jahren "best practice" und als fester Bestandteil von Demokratie in den Gesetzen verankert, wie jeder Mensch zuerst einmal als Unschuldig zu betrachten und behandeln ist, solange das Gegenteil mit Sicherheit und zweifelsohne nicht bewiesen wird.

Nun frage ich: Wenn dies für jeden Rechtstaat gilt, für jede zivilisierte Gesellschaft, wie kann es sein dass es 2010 noch Orte gibt in denen dieses wesentliche Prinzip ausgeblendet, ausgelotet wird? Wie kann es in der heutigen Zeit Orte wie Guantánamo, Palästina und die Harte Klinik geben?

Gerade ein Ort wie die Harte Klinik, wo man sich um nichts als die verschiedenen Arten der Wahrnehmung und des Umgangs damit beschäftigen sollte, gerade dort sollte doch der letzte Ort sein, meinte ich, an dem man nicht nur grob fahrlässig in allen Fehlern der verzerrten Wahrnehmung tappt, nein, sogar noch dieser falschen Einschätzung zufolge handelt. Gerade an einem Ort wie der Harten Klinik fühlte ich mich (völlig zu Unrecht, wie sich herausstellte) in Sicherheit vor Vorurteile, falschen Beschuldigungen, Mobbing, unterschwelligem unter Druck setzen, Erniedrigung, Missbilligung, Diffamierung. Und gerade dort sollte man noch einen Zacken drauflegen!


Bild: Algg Prod

Was ich vor der Klinik erlebt habe — und auf was ich mich aber bewusst und aus freien Stücken so lange ausgesetzt habe — hat man dort um einen Faktor 10 verstärkt wiederholt. Das Grausame, das ich nun bewusst und auf einen Schlag hinter mich lassen wollte. Und zwar so, dass niemand zu weiteren Schaden kommt. Der krebskranke Sohn nicht weitere Traumatisierungen erleiden muss. Die manipulative und hinterlistige Ehefrau sich nicht rechtfertigen muss, bei Dinge für die ich keine Rechtfertigung hören möchte. Und so weiter und so fort. So einfach war die höchst komplizierte Lage, als ich in die Harte Klinik eintrat. Und so einfach habe ich sie dargestellt.

Doch die Ärzte dort hatten definitiv ihre eigene Wahr-Nehmung. Vielleicht teilten sie sie mit meiner Ehefrau? Weiss ich noch nicht. Nicht definitiv. Aber ich kann mir vieles zusammenreimen, inzwischen. Ich kann mir auch in etwa ein Bild darüber machen, was da Schräges abgegangen sein muss, zwischen der Klinik und meinem Therapeuten, der seiner Arbeit nicht nachgehen durfte. Oder zwischen der Klinik und der Villa am Hönggerberg, wo sie der Arbeit dafür ein kleines Wenig "übereifrig" nachgingen.

Ja, die Ärzte der Harten Klinik hatten ihre eigene Wahr-Nehmung. Und, als sie dann merkten wie diese vielleicht nicht "so ganz" mit der Realität übereinstimmte, haben sie sich die Realität genommen und diese umgedreht, bis sie ihrer Wahr-Nehmung wieder entsprach.


Bild: Züriphototrip @ www.ronorp.net

Sowas nennt man auch WAHN, wenn ich mich nicht ganz täusche? Aber was weiss ich schon... Ich bin kein Experte. Ich habe nur meine Welt und die Art wie ich sie wahrnehme.