February 26, 2010

Hallo...? Pippo?

 
Nach dem zweiten Check-In in die Harte Klinik — also nach der Isozelle, das unter Zwang und mit roher Gewalt erreichte Spritzen von Megatonnen-Medi-Bomben, meinem Austritt, meinen mir vorgeworfenen Morddrohungen, nach dem falschen Film beim Dealer-Nachbarn — nach all dem, hörte ich von jedem (häppchenweise) die unterschiedlichsten Ansätze von Hinweise, auf meiner Suche nach einer nachvollziehbaren Lektüre des Geschehenen. Der Pflegeleiter der Akut-Station, sagte einmal man wäre davon überzeugt gewesen, ich hätte Drogen missbraucht und wollte, folglich, dem nachgehen. Man sei dann aber zum Schluss gekommen, Drogen seien keine im Spiel gewesen.

Zum Beispiel sagte er einmal
Tja, Intelligenz ist offensichtlich nicht gleichmässig unter den Menschen verteilt worden und Sie, LET IT SHINE, Sie hatten hier eben nicht so viel Glück.
Zu viel? Zu wenig? Die Antwort darauf muss ich mir selber erarbeiten. Werde ich überhaupt genügend intelligent sein, dies zu schaffen? Mein Zimmer-Nachbar bei diesem letzten Aufenthalt auf der Akut-Station wird definitiv der Meinung sein, es fehle mir reichlich Intelligenz, um Herr einer solchen Lage werden zu können. Aber dies ist wieder eine andere Geschichte, die ich in einem weiteren Post erzählen werde.

Diese kleine Beispiele stehen perfekt für die allgemeine Art und Weise wie der Austausch zwischen den Klinik-Angestellten und mir funktioniert hat. Und zwar während der ganzen Zeit meines Aufenthaltes dort und auf jeder Ebene. Der Pfleger so wie die Nachtwache, die Therapeutin und der Assistenz-Arzt: Mit wenigen Ausnahmen kommunizierten diese Leute in verschlüsselter Sprache mit mir. Eine Verschlüsselung die mir zu entziffern nicht gegeben sein sollte, hatte man mir den Schlüssel dazu doch nicht gegeben. Und gegeben, hätte man ihn mir in 1'000 Jahre nicht! Oder... bin ich einzig und alleine zu dumm gewesen um den Schlüssel, der die ganze Zeit vor meiner Nase gewesen war, zu benützen?

Dachte die Therapeutin zuerst, ich wolle nicht verstehen und deswegen fragte sie mich, ob ich denn keine Schuld bei mir erkennen könnte? Und merkte man später dann, dass ich ganz einfach von all den Drogen so strohdumm geworden war, dass ich nichts mehr checken konnte?

Checkte ich den Pööck nicht mehr?

Ein wunderbares Beispiel für Interaktion lieferte die Pflegerin Frau Ach Sooo Schöööön. Ich hatte damals Kopfhörer bei denen die Menschen ganz in der Nähe von mir mithören konnten. Also kam man immer wieder auf das Thema Musik, bei den "informalen" Gesprächen auf dem Raucher-Balkon oder während den Spaziergängen. Ich hörte gerade den Remix von Kylie Minogues Stück "Slow", Remix der Chemical Brothers. Ich sagte den 2 Pflegerinnen — Frau Ach Sooo Schööön und die junge Praktikantin die für einen beschränkten Zeitraum in der Klinik ein Praktikum absolviert — sie könnten gerne das Stück hören, ich würde ihnen den Kopfhörer geben.
Nein! Kylie Minogue finde ich überhaupt nicht gut. Gefällt mir irgendwie gar nicht!
sagte die Praktikantin — die, mit den DDR Souvenir-Schlager CDs. Meine Argumentation, der Remix sei von den Chemical Brothers und diese würden dort beginnen Musik zu machen, wo andere schon längst aufgehört haben und wo sie meinten ein grandioses Stück der Welt zu schenken, beeindruckte sie nicht sonderlich. Naja... Intelligenz und Musik... Und über Geschmack kann man eh nicht streiten.

Ich bat also einige Alternativen zum hören an. U2: Mysterious Ways? Der Text geht so
She moves in mysterious ways.
Allgemeine Begeisterung. Die zwei Frauen strahlten um die Wette und waren sich darüber völlig einig, "ihre Art geheimnisvoll zu tun" sei das Allerhöchste der Gefühle. Man hätte denken können, heisses Wasser wäre gerade entdeckt worden und die 2 Pflegerinnen wüssten nun wie es geht, die Welt zu retten.

Also keinen SLOW-Körpertanz mit Kylie, nein. Ein verblüfftes "For God's sake! Why is she doing this?" musste anscheinend her.


Aber noch "besser" wurde es beim Thema Zucchero. Ich erzählte davon, wie ich völlig zufällig ein neueres Album von Zucchero entdeckt hatte, dass mich völlig faszinierte und fesselte. Bis anhin, waren mir seine älteren Arbeiten bekannt, zu denen ich keinen besonderen Draht hatte. Doch dieses Album, mit dem in der Innenseite der CD-Hülle gedruckten Satz
Come possiamo volare con le aquile,
se siamo contornati da tacchini?
ist eine Offenbarung für mich gewesen. Diese Passagen mit Andeutungen von kirchlicher, katholischer Orgel, diese Worte über Transzendentalem... Musik der es gelungen war, mit Worten und Melodien, von etwas viel grösserem zu erzählen, bis hin zu der Seele und dem Glauben. Und dies aber nicht etwa mit Fiat-Lux Melodien Krishna Gesang, New Age Violinen oder World Sitar. Nein, Transzendentalem im Rock-Mantel: Für mich sensationell.

Frau Ach Sooo Schöööön hatte auch ihren Beitrag zu dieser Konversation zu leisten. Oh ja... Sie meinte nämlich
Pippo! Che cazzo fai?
Dies sei das Stück von Zucchero das ihr am meisten gefallen würde. Ob ich es kenne. Ich kannte es, ja. Es ist eines von Zuccheros Stücke aus den 80er Jahre. Eines von denen die jedermann kannte und die ich für nichts besonderes halte. Einzig war vielleicht die Provokation durch das gewählte Vokabular daran speziell, damals in der italienischen Musiklandschaft. Es geht also um diesen Pippo. Und Zucchero fragt ihn immer und immer wieder, was er denn zum Teufel überhaupt da am machen sei. Was das solle. Che cazzo fai?

Zusammengefasst könnte man also sagen, wo ich von Glaube - Liebe - Seele usw. rede, fällt den Leuten in der Klinik dazu nichts Besseres ein, als diesen Feedback zu geben PIPPO, CHE CAZZO FAI?

Natürlich hat sich Frau Ach Sooo Schöööön einen neuen Namen verdient: Pippo. Nein... PIPPA! Passt ja auch irgendwie zu ihrem Boss, die Pfeife Doktor Y. Und damit noch nicht alles, was Pippa geboten hat. Leider nicht... Wie sie mir gesagt hat, ich tue genau das Gold-Richtige, als ich mich auf den Weg machte um mit der Jungen Dame die Kaffee-Pause zu verbringen, ein Red Bull als Mitbringsel dabei. Dieser berüchtigten Kaffee-Pause als ich in aller Öffentlichkeit von der Jungen Dame abgewiesen wurde. Und, als "Sahne-Tupfer" die Betitelung des Krankhaften mit auf den Weg bekam.

Ich respektierte die Junge Dame damals sehr, hatte sie sich nicht einmal vor solch einem heiklen Schritt gedrückt. Sie hatte durchgezogen, was es durchzuziehen galt. Und dies, so pervers es tönen mag, respektierte ich damals und respektiere ich heute noch. Natürlich ist dies auch die Synthese des ganzen Konflikts. Wie viel hatte sie durchgezogen weil sie dies zu tun hatte und wie viel hatte man geschafft, ihre Meinung über mich zu zerstören und wie gross war, dem entsprechend, der Anteil ihrer wirklichen Gefühle mir gegenüber, die sich inzwischen in Feindseligkeit gewandelt hatten? Dieser Zweifel machte mich fertig, ganz und gar nach den Wünschen des Chef De Cuisine.

Aber zurück zu Pippa. Sie schickt mich also zu diesem Treffen, im genauen Wissen ich werde dort in den Boden zerstampft. Im Wissen, was die Junge Dame sich an Aggressionen weigert rüber zu bringen, wird von ihrer WG-Partnerin und Kollegin für sie übernommen. Dies ist aber eine andere Geschichte und ein anderer Post und so weiter.

Pippa war, während den Spaziergängen die Morgens auf dem Programm standen, immer wieder eine gute Gesprächspartnerin. Es ergaben sich immer wieder interessante Gespräche, bin hin zu Gott und die Welt.
Einmal hatte ich es davon, wie das Modell "Familie" in meinen Augen nicht mehr kompatibel mit unserer Zeit sei. Wie das 4er Modell nicht mehr den Ansprüchen dieser Zeit gerecht werden könne. Man sprach darüber, wie früher eine Dorfgemeinschaft ein intaktes und ausreichendes soziale Netzwerk sei, welches die Bedürfnisse der Allgemeinschaft decken konnte. Heute, durch die Anonymisierung — überall in den bewohnten Zentren bis hin zu wenig besiedelten dörflichen Gegenden, wo man vielleicht denken würde dieses Netzwerk sei noch vorhanden — durch diese Anonymisierung stehen diese 3er und 4er Gruppen (Eltern und Kinder) völlig isoliert da. Man kennt den Nachbarn nicht und tauscht sich mit ihm nicht aus. In den Städten wird einem sogar mit Verdacht begegnet, sucht er das Gespräch mit wem: Sofort fragen die Alarmglocken danach, was wohl Ziel und Zweck dieser Annäherung sein könnten.

Das letzte Jahrhundert stand im Zeichen der Suche und der Versuche neue Wege und Modelle des Zusammenlebens zu finden. Von den Kommunen in Frankreich (wo sehr viele Menschen aus dem deutschsprachigem Raum mitmachten) über den Kommunismus und den Kibbuz: Die Zeit der "sexuellen Revolution" und der "Emanzipierung" hat viele Türen mit neuen Möglichkeiten geöffnet.

In anderen Ländern lebt man teilweise heute noch in Clan-Strukturen, die nicht durch Verwandtschaft oder Ideologien, Geschmack oder Vorlieben für Freizeitbeschäftigung die Leute zusammen halten lässt, sondern nach sozialen und praktischen Kriterien, die der Versorgung und dem Überleben dienen.

In unseren Höhengraden ist man inzwischen beim Single-Leben angelangt. Die Portionen und Verpackungen der Fertigprodukte werden im Laufe der Zeit immer kleiner und richten sich eindeutig immer mehr nach dem "1 Seelen-Haushalt". Italien, wo wie in vielen südlichen Ländern die Grossfamilie weit verbreitet war, verfügt heute über die tiefste Geburtenrate von ganz Europa und das höchste Durchschnittsalter, für den Auszug aus den elterlichen 4 Wänden.

Meine Theorie war also, dass man neue Formen des Zusammenlebens wird suchen müssen. Die "Patchwork-Familie" scheint ja auch nicht die Lösung zu sein, in meinen Augen auch weil sie nicht das Problem der Isolation ausserhalb einer sehr sehr kleinen Menschengruppe löst. Vielleicht wird man in Zukunft auch eine Art von Clan-Struktur haben, wo der Nachbar kein Fremde mehr ist und wo man untereinander Aufgaben teilen kann, um die wenige und wertvolle Zeit optimal nützen zu können und sowohl der ganzen Gruppe wie auch dem Einzelnen eine bessere Qualität der Zeitnutzung, eine Befriedigendere, erreichen wird. Wer weiss...?

In Deutschland gibt es inzwischen Senioren-WGs, wo man sich unter anderem auch verplichtet, den jeweiligen anderen bis zum Tod beizustehen und wenn nötig zu versorgen. Dies erspart das versetzt werden in ein Altersheim und ermöglicht es, unter lieb gewordenen Menschen auch die letze Tage zu verbringen. In einer Zeit in der sich die Familie nicht mehr um die früheren Generationen kümmern kann, schon ganz einfach aus zeitlichen Gründen, ist dies vielleicht ein sinnvoller Ansatz.

Ich denke auch Jugendliche könnten inzwischen von anderen Formen des Zusammenlebens profitieren. Diese müssen aber noch gefunden werden, so wie vieles heute neu oder wieder gefunden werden muss.
Einmal hingegen, hatte ich es davon, dass heute das Leben schneller und schneller geworden ist. Dass in den letzten 50 Jahren unser Planet so verändert wurde, wie von der ganzen Menschheit zuvor nicht. Das mein Grossvater, der im vorletzten Jahrhundert auf die Welt kam und mit bis über 90 Jahre selbständig Leben konnte und sich um seinen Garten kümmern, von einer Welt gegangen ist die nicht mehr viel gemeinsam hatte mit der Welt, in der er geboren worden war.

Jeder weiss heute, dass niemand mehr ein Arbeitsleben lang bei derselben Firma arbeiten wird, wo dies noch bis vor "kurzer" Zeit oft das Arbeitsleben eines Menschen gewesen ist. Die Fortschritte in Sachen Forschung haben ein Tempo, das man sich kaum vorstellen kann. Mein Sohn wäre noch vor wie vielen Jahren an seinem Krebs gestorben? Eher nicht allzu viele...! Die Stereoanlage, den Laptop, das Handy, die Kamera die wir heute kaufen werden schon wann technisch völlig überholt sein? Und so weiter und so fort.

Ich habe also ausführlich darüber gesprochen, wie sich die heutige Zeit in einem Tempo-Rausch befindet. Zwischen Klammern: Ich bin mir nicht sicher, dass Entschleunigung das Allerheilmittel wäre, wie viele heute zu denken wissen. Doch... Andere Geschichte. Und während ich die letzten Sätze über dieses Thema ausspreche, wird mir auch schon bewusst, mich am definitiv schlechtesten denkbaren Ort zu befinden, um solche Gedankengänge auszudrücken. Dass es so weit gekommen war, hat einzig und alleine mit dem Vertrauen zu tun, den ich in meinen Gegenübern hatte. Gab man mir doch zu verstehen, ich wäre hier unter Menschen die mich verstehen. Dennoch...

Ich hatte gerade die letzen Silben ausgesprochen und... Meine Gedanken verknoteten sich plötzlich.
Nicht gut. Gar nicht gut, was hier gerade geschehen ist.
Ich habe für den Rest des Spaziergangs Musik gehört und versucht, so wenig Angriffsfläche wie möglich zu bieten. Ich hatte sehr wohl im Grossen und Ganzen Vertrauen zu den einzelnen Menschen hier, dennoch... Man sollte es nicht übertreiben!!! Einige Vorkommnisse, verschiedene Unklarheiten und ein generelles Unwohlbefinden sagten mir, Vertrauen ist nicht immer unbedingt angesagt!

Ich bin eigentlich stolz darüber, mich in den meisten Fällen in denen ich mich bei der Einschätzung eines Mitmenschen getäuscht habe, zu Gunsten dieser Person mich getäuscht zu haben. Wenn, dann hatte ich stets eine bessere Meinung einer Person, als sich später vielleicht herausstellte sollte. Praktisch nie habe ich einen Mitmenschen schlechter Eingeschätzt, als er tatsächlich im Endeffekt gewesen ist. Und, obwohl ich auf diese Weise natürlich immer wieder auf die Schnauzte gefallen bin und auf den Deckel bekommen habe, ist mir dabei wohler als wenn ich mit der Einstellung durch die Welt ginge, jeder Mensch ist ein Arsch und er muss mir zuerst beweisen es nicht zu sein, bevor ich ihm vertraue und ihn an mich näher ran lasse.

Doch an diesem Tag, nach diesem Gespräch mit Pippa, hatte ich kein gutes Gefühl. Und ich könnte fast die Hand ins Feuer legen, dass irgendwo dieser Spaziergang notiert wurde, respektive die Konversation die dabei stattfand. Ich könnte darauf wetten, dass irgendwo mögliche Hinweise auf weiss der Geier welche Symptomatik nachzulesen sind.

Und hier haben wir es wieder: Ich rede von einer Welt im Wandel und die Belegschaft der Harten Klinik hat nichts zu erwidern als PIPPO, CHE CAZZO FAI? Inzwischen wäre die Frage in die entgegengesetzte Richtung angesagter, nicht wahr?

Doch ich habe was anderes für die Harte Klinik. Während sie sich fragen, wer nun alles ein Pippo bei ihnen gewesen ist, während der Scheiterhaufen für "Interne Angelegenheiten" gezündet wird, sage ich nur, zusammen mit Zucchero, HALLO. Oder, auf Italienisch: PRONTO. In fin dei conti, è tutto un manicomio.



Pronto == Zucchero

Pronto
Che ore sono al mondo
Che ancora non mi sento
Come sto
Tanto
Se tanto mi da’ tanto
E’ meglio fare il tonto
Che bueno esta
Che bueno esta
Pronto
E’ meglio che non sento
Che se mi sento dentro
Piu’ male sto
Tanto
Ho tante cose in conto
Non faccio piu’ lo sconto
Che bueno esta
Miralo che bueno
Il paradiso
Miralo che sueño
E’ un paradiso
Miralo che bueno
Il paradiso
Miralo, miralo
Ma dove sta?
Pronto
Ci vuole un intervento
Che vedo ma non sento
E male sto
Tanto e’ tutto fuori tempo
E’ tutto un manicomio
Che bueno esta
Miralo che bueno
Il paradiso
Miralo che sueño
E’ un paradiso
Miralo che bueno
Va’ in paradiso
Miralo, miralo
Ma dove va?
Pronto
Adesso fatti un pianto
Che tanto non ti sento
Ma amata t’ho
Cristo
Siamo nelle tue mani
Non battere le mani
Per carita’
Che c’ho paura
Degli americani
E degli inglesi
E degli italiani
Dei musulmani
E anche dei cristiani
I wanna see to my baby now
I wanna see to my baby now
I wanna see to my baby
Miralo che bueno
Il paradiso
Miralo che sueño
E’ un paradiso
Miralo che bueno
Il paradiso
Miralo, miralo
Ma dove sta?
Pronto
E’ meglio che non sento
Che se mi sento dentro
Piu’ male sto
Tanto
Adesso io mi pianto
Non mi sopporto tanto
Che bueno esta
I wanna see my baby now
I got to see my baby
I wanna see my baby now
Pronto
Ma guarda il mondo stronzo
E guarda il suo tramonto
Che fine fa?........