February 21, 2011

demokratisch geschossen?

 
In Libyen (offiziell "Great Socialist People's Libyan Arab Jamahiriya"!) wird aus Helikoptern und Kampf-Flugzeuge in die Menge geschossen. Auf — zumindest zu beginn — friedlich demonstrierenden Menschen! Söldner aus dem Ausland schiessen auf das Volk. Vielleicht Söldner mit einem Schweizer Arbeits-Vertrag; sind in der Schweiz doch um die 20 solcher Firmen registriert. Das selbe Libyen, das man vor noch sehr kurzer Zeit in den "UN-Menschenrechtsrat" aufgenommen hat und in Europas Präsidenten-Palästen hofieren liess. Eigentlich reicht das schon, um so ziemlich die ganze Absurdität gewisser Vorgänge zu umschreiben, die in der heutigen Welt statt finden.

Viele haben damals geschimpft, wenige haben etwas dagegen unternommen. Ich kann mir vorstellen, der allgemeine Tenor lautete "Schwellenländer (auch in Sachen Demokratie und Menschenrechte) sollten partizipativ miteinbezogen werden, damit sie in ihrem Prozess der Demokratisierung unterstützt werden können." Wie heuchlerisch am Ende des Tages solche Beschönigungen sind, zeigt sich zur Zeit in voller Klarheit rund um das Mittelmeer. Es zeigt sich wenn man die Reaktionen der USA zu den verschiedenen Revolutionen verfolgt. Es zeigt sich wenn man die Reaktionen vom Rest der Welt verfolgt. Die UNO, zum Beispiel. Ich habe in den Bericht-Erstattungen der letzten Wochen nicht einmal das Wort UNO gehört. Sollte dies nicht anders sein, eigentlich? Oder zeigte Israel ganz deutlich, dass die UNO nur noch einen Bericht erfassen kann, nach den Ereignissen? Wie auch immer... Wir alle haben mitbekommen, wie sehr sich die USA im Clinch befanden, als es mit den Demonstrationen und den Forderungen nach mehr Demokratie losging. Es zeigte sich besonders in Ägypten, der ein sehr wichtiger Verbündeter ist, und es wird sich noch viel mehr in Bahrain zeigen, wo die US-Navy einen für die Öl-Versorgung strategisch wichtigen Stützpunkt haben.

Man hat über Jahrzehnte hinweg Systeme unterstützt, die den einzelnen Menschen mit Füssen behandelt haben. Alles in Namen einer fraglichen "Stabilität". Nun, wo diese die Menschen in diesen Ländern aufstehen und nach dem verlangen wofür die USA zu stehen behaupten, nämlich Demokratie und Freiheit, nun sehen sich diese selben USA plötzlich mit Problemen konfrontiert. Sie fürchten um ihre Demokratie und Freiheit. Wie kann das aber sein? Mal angenommen, ich behaupte das Glück gefunden zu haben, mal angenommen ich behaupte mein Glück auch aufrecht erhalten zu können, kann ich dann doch nicht kommen und mir Sorgen darüber machen, wenn ein Anderer das genau identische Glück für sich beanspruchen möchte. Es kann doch nicht sein, dass sich mein Glück auf das "nicht glücklich sein" eines anderen stützt. Welche Art von Glück wäre das schon? Es ist wie mit dem Reichtum. Wie reich können wir wirklich sein, ganz egal wie gross unser Vermögen auch sein mag, wie reich sind wir wirklich, solange derartige Armut auf der Welt noch existiert? Und obwohl es nach heutiger (vielleicht zynischer) Betrachtungsweise bei Reichtum und Armut schon um eine Glaubensfrage handelt — ist jeder Mensch doch für seinen Erfolg selbst verantwortlich — sieht die Sache bei Demokratie und Menschenrechte anders aus. Denn diese sind nach westlichen Kriterien ganz einfach Grundrechte. Also ist es schon konzeptuell vollkommen unmöglich, dass sich Demokratie im eigenen Land auf Nicht-Demokratie im Ausland stützen darf.

Doch genau dies geschieht immer öfters. Man geschäftet mit Ponzius und Pilatus, mit China und Gheddafi. Man tut dies im Namen der Wirtschaft und der Verbreitung von Demokratie. Bull-Shit! Man geschäftet mit Gheddafi weil er uns die Flüchtlinge vom Hals hält. Wie oft hat man während der Krise zwischen Libyen und der Schweiz gehört, wie unbedeutend das Geschäfts-Volumen mit Libyen sei? Wie oft wurde beteuert, egal was geschehe, die Schweizerische Wirtschaft sei nicht von dieser Affäre bedroht. Die EU beziehe 10% ihres Öl- und Gas-Bedarfs von Libyen. Gheddafi hat dudtzende Rumänische Krankenschwestern und zwei Schweizer als Geisel genommen. Doch, sobald die Schweiz von den Regeln des Schengen-Abkommens Gebrauch machte um Gheddafi unter Druck zu setzen, stand halb Europa auf der Matte des Bundesrats und wollte die Sache so rasch wie möglich geregelt haben. Heisst: Wieder in einer Schublade versorgt. Genau so wie die Flüchtlinge die in den Gefängnissen von Libyen untergebracht werden, noch bevor sie nach Europa können. Sie verschwinden dort, wie Migrations-Dossiers der Europäischen Minister in der Schublade verschwinden können.

Gerade habe ich von den Drohungen Gheddafis gehört, die Flüchtlinge ungehindert nach Europa zu lassen, wenn die EU weiterhin Solidarität mit den Protestierenden bekünde. Und, welche Überraschung, mehrere EU Aussen-Minister haben gar nicht auf diese Worte reagiert! Aber grosse Besorgnis über das Horror-Szenario einer Islamischen Abspaltung der östlichen Landesteile (die am Nächsten zu Europa liegen), diese wurden sofort geäussert. Auch die Sorge über die Versorgungs-Probleme bei Öl und Gas wurde zum Ausdruck gebracht. Als ob die Menschen die auf den Gheddafi-Clan folgen würden nicht grösstes Interesse daran haben würden, genau das selbe Geschäft weiter zu führen, was unglaubliches Reichtum für einige Wenige ins Land gespült hat. Das Reichtum nämlich, was die westliche Welt bereit gewesen ist, einer absolut skrupellosen und menschen-verachtenden Diktatur wie die Libysche zukommen zu lassen, um das eigene Reichtum abzusichern.


Gott sei Dank, konnte man genügend Druck auf Mubarak ausüben, um zu vermeiden dass er aus Helikoptern heraus in die Menge schiessen liess. Doch wer wird Gheddafi daran hindern, dies weiterhin zu tun? Der UN-Menschenrechtsrat? Oder wird Gheddafi dort sein Veto einlegen, ganz demokratisch...?