February 20, 2011

blau & gelb

 
Beim Aufwachen erinnerte ich mich an einen Traum, heute. Geschieht nicht oft, zur Zeit. Keine schlimme Albträume, kein Weinen, kein Lachen, meistens nichts. Heute aber wieder. Es ging um Demütigung, Konflikte, Erwartungen, Vertrauens-Missbrauch, Verdächtigungen. Nicht wirklich angenehm. Und dennoch... Ich träume, also lebe ich.

Ich weiss noch was für Albträume ich als Kind hatte. Es war immer wieder der selbe Traum. Immer wieder der selbe Schmerz. Immer wieder dieses Gefühl des... Des was? Ich weiss es nicht. War es ein Ur-Schmerz? Ich meine... Der Traum ging so: Da waren die Farben Blau und Gelb. Sonst nichts. Ein dunkles Blau, ein tiefes dunkles Blau, fast Schwarz. Eine schöne Farbe, eigentlich. Ich hatte nie ein Problem, mit Blau. Und dann das Gelb, in etwa wie auf der schwedischen Fahne. Sonnig. Auch schön. Die Farben begannen sich zu bewegen, so ähnlich wie sich Flüssigkeiten bewegen. Dick-Flüssiges, dass sich gegenseitig abstösst, sich nicht vermischen kann. Runde, geschmeidige Formen entstanden. Die zwei Farben waren alles, was es gab. Das Blau verdrängte das Gelb. Und es wurde immer grösser. Immer grösser. Das Gelb, wurde immer weniger. Es drohte zu verschwinden. Und so bewegten sich diese zwei Farben. Hin und her. Ohne rasche Bewegungen. Ohne sich zu vermischen. Ruhig, anschaulich. Geschmeidig. Undramatisch. Und doch... Dieser Schmerz! Er war fast nicht auszuhalten. Es drückte auf mein Herz. Mein gelbes Herz, das vor lauter Schmerz zu verschwinden drohte. Dann wachte ich auf. Immer und immer wieder. Immer mit diesem Schmerz der sich aus der Traum-Welt in diese reale Welt hinüber tragen liess, vom Akt des Aufwachens. Es vergingen einige Minuten, und alles war wieder in Ordnung. Der Schmerz vergessen. Das Herz in Ordnung. Das Blau kein Grund zur Sorge. Mein Alltag war überhaupt nicht von diesen Träumen tangiert. Nichts erinnerte mich den Tag über an diesen nächtlichen Schmerz. Nichts von diesem Schmerz beeinträchtigte irgend einen Bereich meines Lebens. Ich habe mir später, als Erwachsener, viel mehr Gedanken über diese Träume gemacht als damals, als ich sie hatte. Bis heute weiss ich nicht was diese Farb-Welten zu bedeuten hatten. Und ich habe auch keinen Menschen getroffen, der mir von solchen Albträumen erzählen konnte. Darüber gelesen habe ich auch nie. Blau und Gelb. Himmel und Sonne.

Ich finde es heute einfach erstaunlich, wie sich ein offensichtlich grundlegender Schmerz mit einzig zwei Farben ausdrücken lässt. Mit welcher absoluten Einfachheit eines der vielleicht schwierigsten Gefühle eines Menschen in der Kindheit und im Traum sich zu offenbaren weiss. Später, später wird alles viel viel komplizierter, unergründlicher, undeutbarer. Doch dieser Schmerz, den ich fühlte als ich unter einem Tisch lag und weinte, den ich fühlte als ich nichts mit mir zu anfangen wusste, keine Berufung fühlte, dieser Schmerz war im Grund genommen der Selbe. Der tiefste Schmerz in meinem Herzen. Der Lebensschmerz. Des Lebens Schmerz. Nacht-Blau, das Gelb verschluckt. Licht, das sich vor der Finsternis schützen muss. Leise. Leidend. Von Schmerz erfüllt, weil es feststellen musste, dass die Finsternis überhaupt den Willen hat, das Licht zu löschen. Ja, vielleicht ist es dies, was mir Schmerz verursachte. Die Tatsache, dass Blau bestimmten Gesetzen zu unterliegen scheint, die es dazu drängen oder zwingen, die Überhand über das Gelb zu nehmen. Weshalb? Das Geld ist eine wunderschöne Farbe. Nacht-Blau auch. Und erst nebeneinander, werden die Qualitäten einer Jeden von ihnen überhaupt erkennbar. Weshalb also sollte ein Blau Interesse daran haben, das Gelb zu verschlucken? Wäre da nur noch Blau, niemand würde es überhaupt wahrnehmen und zu schätzen wissen. Es wäre die reine Langeweile. Wieso können also nicht Blau und Gelb nebeneinander existieren, sich gegenseitig aufwertend, anstatt sich gegenseitig bekämpfend? Weshalb scheint das Blau zu denken, es wäre besser dran, nachdem es das Gelb verschluckt hat? Weshalb kann es nicht erkennen, wie das Auslöschen des Gelbes wahrscheinlich dem Auslöschen seiner Selbst gleichkommen würde?


Und, wie alles eine Kehrseite hat, so gibt es auch für die Verdrängung des Lichtes durch die Finsternis eine ganz einfache Umkehrung, die grosse Mitmenschen auch zu besingen wissen.
There is a crack in everything,
that’s where the light comes in.
Leonard Cohen
Nicht nur hat, sozusagen, jedes Gelb sein Blau...
jedes Blau hat auch sein Gelb.