March 20, 2011

Love @ Street Parade

 
Ich hatte die Bilder gesehen und dieser Mann tat mir so unendlich Leid. Er lag da, vor den Bildern der Verstorbenen, den ganzen Körper am Boden, die Arme völlig ausgestreckt über den Kopf, das Gesicht am Boden. Geistliche bezeichnen diese Position als Vor-Gott-"hingeworfen". Dr. Motte hatte sich vor Gott und den Opfern hingeworfen. Er trauerte um die vielen Toten an der LoveParade. Und er tat mir Leid. Er, der sich dermassen eingesetzt hatte für dieses Event, für dieses Lebensgefühl, fühlte sich nun schuldig für das Ableben anderer Menschen. Er, der etwas geschaffen hatte, das ich als Einzigartig erleben durfte.

Ich hatte die LoveParade in Berlin und die StreetParade in Zürich erlebt, bevor der Kommerz Einzug fand, bevor es zum Bierfest wurde. Ich hatte dann erlebt, wie in Berlin zum ersten Mal mehr als 1 Mio. Menschen zusammenkamen und etwas spezielles geschah. Ich hatte die Polizisten gesehen, oben auf dem Zug-Viadukt, die in Voll-Montur zu den Beats tanzten, einen Smile auf den Lippen. Ich durfte noch erleben wie diese Anlässe ihrem Namen gerecht wurden, waren sie zu Beginn doch wirklich Liebes-Paraden. Ob 5'000 Menschen oder 1 Mio., alle waren sie dort um zu shaken, Spass zu haben, dem Alltag zu entfliehen — auf eine Art, die nur einmal pro Jahr möglich war — alle waren sie dort um sich zu präsentieren, um zu baggern, zu gaffen, zu lachen, zu tanzen. Vor allem zum Tanzen. Zu Musik die ihnen durch Zwerchfell und Rückenmark ging. Ich hatte erlebt, wie sich Nicolas Ehefrau (eine ETH-Architektin) einen grünen Lampenschirm schnappte und auf den Kopf setzte. Als wär es ein Hut. Als wär sie eine Leuchte. Ich sah wie all diese Menschen um den Engel in Berlin standen und einfach nur abgingen. Happy dort zu sein. Und die DJs heizten ein. Nicola und ich schauten uns an, ein glückseeliches Lächeln ins Gesicht gestempelt, und sagten nur

Giriamo pagina............................................
..........................................E ANDIAMO AVANTI!


Seite umblättern und......................................
............................................ES GEHT WEITER!


Dabei machten wir noch die Geste des Seiten-Umblätterns und... Naja, wir hatten eine Menge Spass. Danach gin man ins Tresor. Dort, ging das Weitergehen weiter! Und es wurden so viele Seiten Umgeblättert. Und es ging weiter. Und weiter... Der Tresor war einer der Gründe weshalb Nicola Berlin so sehr liebte. Bis, irgendwann Anfangs der Woche, nur noch unsere Fäustchen zu tanzen in der Lage waren. Also ging man nach Hause, das von Le Corbusier gestaltet wurde, in die Maisonette-Wohnung mit der unglaublichen Aussicht vom Balkon, auf dem Nic so viele Stunden verbrachte, einfach so... Wir gingen nach Hause, ein Lächeln im Gesicht.

I love you Nic.
I'll never forget your smile, your speeches and your brotherhood.


Keine Ahnung wer welche Verantwortung zu tragen hat, für das schreckliche Unglück das geschehen ist. Ich meine aber das, Menschlich gesehen, Dr. Motte nur ein Fest der Liebe und der Musik organisieren wollte. Und dies gelang ihm auch, eine Zeit lang. Zürich und Berlin: Diese zwei Städte sind während einiger Jahre das Zentrum einer ganzen Reihe neuer Musik-Welten gewesen. Irgendwann wurde auch diese Märchen-Welt von der Realität eingeholt, irgendwann waren mehr Besoffene als Tanz-Wütige auf der Strecke unterwegs. Irgendwann begannen eine Deo- und eine Bier-Marke, Parties auf der Strecke zu organisieren. Irgendwann waren mehr Überwacher von Merchandising-Verträgen als Verkäufer anwesend. Irgendwann kam der Kommerz. Irgendwann machte es kein Spass mehr. Vielleicht hätte man dann aufhören sollen. Man soll doch „Dann aufhören, wenn es am Schönsten ist“, sagt man. Doch ich kann mir sehr gut vorstellen wie man, als Organisator und Pate einer solchen Veranstaltung, seine liebe Mühe mit dem Aufhören hat. Immerhin hat man etwas grossartiges geschaffen.

Ich bin dankbar, dabei gewesen zu sein, als es noch am Schönsten war. Ich bin Dr. Motte dankbar, zusammen mit den Andern, und allen voran den Menschen in Zürich, diese Feste von Liebe und Musik erschaffen zu haben. Anlässe die es Jedem ermöglichten für ein ganzes Wochenende aus der eigenen Haut zu schlüpfen, sich der Musik hingeben und das sein, was jeder sein wollte. Jeder durfte sich hauten und sich die Haut überstreifen, die ihm oder ihr am Besten gefiel. Oft war es dann wieder die eigene, nackte Haut. Wunderbar...

Sunshine  ==  Dr. Motte & Westbam



Ich seh mir diese Bilder an und tatsächlich: Das Herz geht auf und die Sonne scheint wieder. Ich sehe die Bilder und...
.......................................MI SCAPPA DA RIDERE!

Über Techno & Co. wurde schon viel schlechtes gesagt... Zu oft stimmte es sogar, was gelästert wurde. Und dennoch: bei all dem vielen Schrott der Produziert wird, gibt es sie immer noch, die Musik die mich zum Lächeln und eine Saite in mir zum Schwingen bringt. Musik die auch Ingredienzien wie "Brain, Heart & Soul" beinhaltet.

Ich möchte noch meinen Respekt für die Opfer von Duisburg und ihre Angehörigen klar ausdrücken. Was ich geschrieben haben ist nicht im geringsten in Zusammenhang mit den unvorstellbar schrecklichen Ereignissen von vor einem Jahr zu verstehen. Zu diesem tragischen Tag gibt es wahrscheinlich keine geeignete Worte. Ausser guter Gedanken und Mitgefühl für alle Betroffene, kann ich nichts beitragen. Diese Menschen suchte nur etwas Spass zu lauter Musik, genau wie ich es auch viele Male zuvor getan hatte. Ich fühle mich vollkommen ohnmächtig. Es bleibt Mitgefühl. Und Trauer.