March 17, 2011

der Schüler und sein Meister

 
Wir erleben heute auf jedem Gebiet einen unglaublichen Mass an Spezialisierung. Nicht, dass ich diese für schlecht halten würde: Wir brauchen Spezialisten. Nur dank ihnen wurden konnten die Fortschritte der letzten Jahrzehnten erreicht werden. Wir dringen vor in Gebiete, die ein derartiges Mass an Wissen benötigen, dass sich die ausschliessliche Beschäftigung mit dem einen Gebiet nicht vermeiden lässt. Wiederum bemerkt man immer öfter wie wichtig es dennoch ist, Bindeglieder zwischen den verschiedenen Domänen herzustellen. Das "Interdisziplinäre" ist zur heutigen Zeit eine grosse Herausforderung, die oft genug auch gelingt — solange genügend wirtschaftliche Interessen vorhanden sind, um die Kosten des Interdisziplinären auch zu tragen. Besteht jedoch kein ökonomisches Interesse am Ende der Kette, dann fehlt auch der Ansporn um alle verschiedenen möglichen Sichtweisen in Betracht zu ziehen. So beobachten wir zum Beispiel, wie heute fast keine angehenden Mediziner mehr auf eine Spezialisierung verzichten möchten: Verdient der Spezialist in der Schweiz und in Deutschland 10 Mal oder mehr als der Allgemein-Arzt. Des Haus-Arzt hat nicht einmal mehr die Zeit um seine Patienten kennen zu lernen: Dies sei zu teuer. Ich behaupte aber, zusammen mit vielen anderen, dass es viel teurer ist, den Patienten irgendwann zum Spezialisten schicken zu müssen, besonders bei Problemen die vielleicht durch eine vernünftige Grund-Versorgung durch den Haus-Arzt schon vorbeugend hätten vermieden werden können. Das Haus-Ärzte auf dem Land inzwischen einen niedrigeren Stunden-Lohn erhalten als viele andere Berufe mit viel kürzerer Ausbildungs-Zeit, ist schon längstens bekannt — besonders die Ärzte, die trotz der politischen Entscheidungen weiterhin ihren Beruf auf einen für sie vertretbaren und wie von früher bekannten Qualitäts-Stand auszuüben versuchen.

Das Dilemma besteht aber durchaus nicht nur in der Medizin. Überall in der akademischen Welt sind die neue Probleme bekannt, die durch Spezialisierung aufgetreten sind. So stehen wir heute vor offenen Fragen in Sachen pre-nataler Diagnostik und Medizin, in den Bereichen der künstlichen Befruchtung, der Gen-Technologien, usw. usw. Bereiche wo auf einmal auffällt, wie sehr philosophische Erkenntnisse fehlen, wie soziale Überlegungen hinterher hinken, wie die Grund-Rechte des Menschen wieder angepasst werden müssen — weil noch nie zuvor dagewesene Möglichkeiten nun Realität sind. So war und ist die wirtschaftliche Nutzung neuer Entdeckungen (neben natürlich der militärischen) immer die treibende Kraft um in neue Bereiche vorzustossen. Andere, mit diesen neuen Möglichkeiten verknüpften Fragen, wurden als zweitrangig angesehen. Inzwischen macht sich aber langsam die Einsicht verbreiteter, dass monetäre Interessen nicht der einzige Massstab sein können. Natürlich werden diese weiterhin benötigt sein, um die Entwicklungen finanzieren zu können, doch nicht dieser Aspekt alleine kann der Mass aller Dinge sein.

Buddhisten und Hinduisten, Thaoisten, Zen-Meister und viele mehr sagen, ein Mensch müsse seinen Meister finden. Dieser Gedanke fasziniert mich sehr, ist er doch in komplettem Widerspruch zu unserer heutigen Art der Ausbildung, in der jeder Meister austauschbar ist, solange sein Nachfolger über das nötige Wissen verfügt. Ich persönlich denke aber, dass sehr sehr viel Potenzial heute vergoldet wird, durch die Art in der Wissen schon ab der Primarschule gelernt wird. Sehr viele Jugendliche kommen nicht zu recht, in einem System der standardisierten Lehren, in dem der Schüler zuerst einmal ein Trichter für abzuspeichernde Informationen zu sein hat. Ich selbst habe erlebt, wie ich von Mathematik, Physik und Chemie absolut rein gar nichts verstand damals, als ich in das erste Jahr des Gymnasiums kam und mich auf die Abitur vorbereiten sollte. Die Tabelle der Elemente war eine Tabelle mit Buchstaben drin — sie ist es für viele Jahre geblieben. Obwohl man uns natürlich erklärte, was weshalb wohin geschrieben wurde, in dieser Tabelle, konnte ich es nicht verstehen. Viele meiner Kameraden verstanden es, und waren bereit weitere Informationen zu bekommen. Verschiedene aber (darunter auch ich) konnten nichts mit dieser Art von Erklärung anzufangen wissen, und blieben auf der Strecke. So ähnlich geschah es mit vielen Themen der Natur-Wissenschaften und der Mathematik. Damals dachte ich natürlich, ich wäre für solchen Stoff völlig ungeeignet, doch inzwischen bin ich mir bewusst, dass nicht ich für die Materie ungeeignet war, sondern die Lernmethoden für mich.

Die Geschichte von Einstein und seiner schlechten schulischen Leistungen sind zum Gemeinplatz geworden. Es ist ausserdem allen bekannt, dass er den grössten Teil seiner wissenschaftlichen Arbeit, selbst seine weltbewegende Relativitäts-Theorie, noch als Angestellter 3. Grades im Berner Patent-Amt leistete, lange bevor man ihm Einzug in die akademische Welt gewahr. Und selbst dies wohl nur weil sich jemand wie Max Planck bewusst wurde, dass hier ganz grosse Wissenschaft geschrieben wurde. Ohne Planck und einige Anderen, die auf Einstein aufmerksam worden, hätte seine Arbeit vielleicht sogar in Vergessenheit geraten können, für einige Jahrzehnte — genau so wie zuerst einmal im Jahr der Publikation seiner Theorie, und einige Zeit darauf. Anstatt sich aber über die Geschichte Einsteins Gedanken zu machen, wurde das Ausbildungs-Wesen weiter und weiter ausgebaut, auf der selben Schiene wie damals. Ja, man hat zwar die körperliche Strafe unterbunden, man hat gewisse Formen geändert, doch der Kern der schulischen Ausbildung wurde nie in Frage gestellt. Natürlich war Einstein ein absolutes Genie, natürlich. Doch, die Tatsache dass dieses Genie nicht mit der Grundschule zu Recht kam und dann die wichtigste wissenschaftliche Arbeit der Modernen schrieb spricht nicht für das System. Denn, obwohl Einstein eine Ausnahme ist beweist dies einzig, dass es einem Genie dennoch, oder trotz des Grundschulen-Systems, noch sehr grosses zu leisten. All diejenigen, die aber wie Einstein in Bildern denken und keine Genies sind, die werden von dieser Art der Ausbildung komplett vernachlässigt und benachteiligt. All denen, die eine andere Lern-Kurve haben als die Standardisierte, wird das Leben ziemlich schwer gemacht. Heute wie damals.

Ich erinnere mich, wie sich meine Mutter mühe gab, mir einen angemessenen Klavier-Lehrer zu finden. Für sie wäre ein musizierender Sohn wahrscheinlich das Aller-Schönste gewesen. Also hatte ich, so wie auch mein Bruder, Klavier-Unterricht schon in frühen Jahren. Zuerst einmal bei einer alten Dame, einer Witwe, die Kinder als Aufbesserung ihrer Rente unterrichtete. Und aus Freude. Als sie aufhörte, machte sich meine Mutter auf die Suche nach einem neuen Lehrer. Und sie fand ihn. Er war lustig, gefiel mir: Ein Strich in der Landschaft, hoch, schmal, mit Pfeife, Brille und Schnurrbart. Sein grösstes Idol war Herr Alfred Einstein. Neben dem Musik-Unterricht malte er. Und komponierte. Er malte Albert Einstein. In allen möglichen Varianten. Meistens aber auf einem kosmischen Hintergrund. Ich habe so viele Bilder mit dem Kopf von Einstein gesehen, dahinter die unendlichen Weiten des Alls, mit Galaxien, Planeten, Finsternis und Licht. Er malte Einstein mit Pfeife, mit ausgestreckter Zunge, beim Spielen seiner Violine. Und er komponierte "Astral-Musik". Er war ein komplexer Mensch, der es nicht immer leicht hatte. Ich erinnere mich noch, wie er eines Tages strahlte wie noch nie zuvor. Er war glücklich. Einfach nur glücklich. Ich glaube ich hatte es noch gar nicht zum Hocker geschafft und schon wusste ich, dass er eine Freundin gefunden hatte. Die verschiedenen Ticks, die sein Gesicht immer wieder für kurze Zeit neu anordneten, liessen immer mehr nach. Der positive Einfluss dieser Beziehung war nicht zu übersehen. Ich mochte ihn. Doch ich erinnere mich auch genau, wie es mir immer schwerer fiel in den Unterricht zu gehen. Ich erinnere mich, als ich ihm mitteilte, ich wolle mit dem Unterricht aufhören, wie er mich fragte was ich denn lieber machen wolle, als bei ihm vor dem Klavier zu sitzen. "Willst du raus?" Er zeigte auf das Fenster, und auf das Moped das vor dem Gartenzaun stand. "Willst du mit deinen Freunden herumfahren? Ist das alles?" Diese Frage hat mich für viele Jahre beschäftigt. Es sollte offensichtlich zu einem Muster in meinem Leben werden.

Ja. Ich wollte raus. Ich wollte mit meinen Freunden herumfahren. Doch... Weshalb fühlte ich mich so überhaupt nicht wohl dabei? Weshalb kam mir immer wieder seine Frage in den Kopf? Weshalb ging mir immer wieder, die Antwort durch den Kopf, die ich ihm nicht gegeben hatte? "Dann mach doch etwas dagegen! Dann gestalte diese Zeit vor dem Klavier so, dass ich keine Lust habe raus zu rennen! Verdammt..." Diese Antwort hatte ich aber nie gegeben. Ich war Schuld daran, dass ich nicht einmal für den Klavier-Unterricht bei einem tollen Lehrer etwas übrig hatte. Ich war später Schuld daran, dass ich nicht gut genug für Mathematik, Physik und Chemie war. Ich antwortete ihm ziemlich sicher so was wie "Ich weiss nicht was ich will." Jahre später habe ich über meine 2 Klavier-Lehrer nachgedacht und plötzlich kam ich zu dem Schluss, dass ich ziemlich sicher mehr bei der alten Dame gelernt hatte als bei diesem super Typen. Dies soll aber überhaupt nicht gegen ihn sprechen, sondern vielmehr dafür, dass jeder Schüler eben seinen eigenen Meister finden muss. Und dieser, ist nicht immer derjenigen, der vielleicht auf der Hand zu liegen scheint.

Eine andere Episode, einen anderen Satz eines Musiker machte mir viel zu schaffen. Für lange Zeit. Eigentlich bis und mit heute. Meine Mutter singt für ihr Leben gern. Damals war sie Gründungs-Mitglied eines Chors, im Tessin. Irgendwann kam ein Dirigent dazu, der inzwischen international bekannt ist: Er leitete nun den Chor. Dieser traf sich regelmässig bei uns zu Hause, im Wohnzimmer wurde einmal in der Woche gesungen. Zuweilen waren mehr als ein Dutzend Menschen dabei. Auch sonst war immer wieder jemand bei uns, der mit Musik zu tun hatte. Sei es aus diesem Chor, aus dem anderen in der meiner Mutter sang, oder aus sonst einer Gruppe mit der sie instrumental musizierte. Jedenfalls kam es irgendwann zu einem Besuch von diesem Dirigenten. Ich befand mich gerade im Wohnzimmer und sah fern. Der Dirigent kam mit anderen Leuten ins Zimmer herein und machte einen Witz, als er mich begrüsste. Er meinte "Immer schön am lernen? Sehr gut, weiter so!" Das traf mich wie ein Pfeil direkt ins Herz. Das grosse Dilemma meines Lebens. Wieso sind es immer Musiker gewesen, die mir betreffend meinen Charakter schlechtes Gewissen machten? Auch der Musik-Lehrer in der Hauptschule hörte ich immer wieder über "Dies sind die Jahre in denen sich euer Charakter formt! Wenn ihr euch jetzt nicht anstrengt, werdet ihr es niemals tun! Ihr müsst Disziplin lernen! Usw. Usw." reden. Ja: Musiker brauchen grosse Disziplin um Resultate zu erzielen. Und Disziplin war definitiv nicht meine Stärke. Ich fühlte mich als ein ausgesprochen schlechter Mensch.

Heute denke ich eher daran, dass ich mit 14 Jahren in den Sommerferien schon in der Fabrik stand und bei 35 bis 40 Grad in der Halle schuftete, um mir mein erstes Moped leisten zu können. Ich denke mehr daran, dass ich dutzende von Temporär-Jobs gemacht habe, im Laufe der Jahre. Ich habe Heizöl-Zisternen revidiert, stand 8 Stunden am Tag darin und schleifte die Wände ab. Ich habe, in zwei Fällen Nacht-Schichten gearbeitet, im Restaurant der einen Autobahn-Raststätte, an der Kasse einer anderen. Ich habe in Mülligen Pakete für die Post sortiert, während ich noch auf dem Zelt-Platz in Wollishofen lebte, weil ich gerade aus dem Tessin in Zürich angekommen war. Ich habe "Campari" abgefüllt, "Sugus" hergestellt, pharmazeutische Produkte verpackt. Ich habe Zement-Säcke geschleppt, ich habe Möbel in und aus dem Lager gebracht, ich habe Photographie-Kurse gegeben (auch einer Gruppe von Tessiner Kantons-Polizisten), ich habe Mozzarellas und Mascarpone gelagert, ich habe Autos gereinigt. Ich wurde schon nach Köln-Bonn geflogen, um Geschenk-Papiere zu produzieren. Ich habe Kaffee mit der Mini-Bar auf Schweizer Zügen verkauft. Ich habe als Hilfs-Gärtner gearbeitet und Tennis-Plätze in Stand gebracht. Ich weiss gar nicht mehr, was ich alles getan habe. Doch ich weiss, dass ich niemals Reklamationen meiner Chefs hatte. Ich weiss, dass ich immer ein gern gesehener Klient der Temporär-Büros gewesen bin. Und ich weiss, wie viele Lehrer mir das Gefühl gegeben haben, ich sei kein guter Mensch. Schon ziemlich schnell nach der Primar-Schule.

Ich kann mich genau an eine traumatisierende Geschichte erinnern, vielleicht in der 6. oder 7. Klasse. Ich war damals ziemlich aktiv, wenn man das so bezeichnen kann. Hatte jedenfalls immer etwas zu tun, jemand um zu reden und zu scherzen. Ich suchte nicht Streit, doch ab und zu ergab er sich. Da war ich also mit einem anderen Schüler auf dem Boden am Kämpfen, im Flur unserer Schule während der Pause. Der Lehrer einer anderen Klasse kommt vorbei und beendet den Streit, er packt mich hinten am Kragen und zerrt mich hoch in die Vertikale. Und schon verpasst er mir eine Ohrfeige. Eine feste, satte Ohrfeige. Ich kenne diesen Typ nicht einmal. Schon läutet es. Ich gehe ins Klassen-Zimmer und bin auf 200 oben. Dieser Typ hat mich geohrfeigt! Ich bin so was von wütend, dass ich zwischen der verschiedenen Ausrufe schluchze, weil ich fast vor Wut weinen könnte. Die Lehrerin fragt was denn mit mir los sei, ich versuche es zu erzählen. Kurz darauf finde ich mich beim Direktor wieder, der mich abmahnt, weil ich anscheinend viel zu starke Ausdrücke benützt haben soll. Von der Ohrfeige ist keine Rede mehr! Das ist offensichtlich auch ein ganz klares Muster, in meinem Leben...

Etwas machte diese Episode noch viel schlimmer. Ich hatte gerade Unrecht erlebt, zuvor hatte mich ein Schüler den ich nicht kannte angemacht und angegriffen, dann hatte mich eine Lehrkraft geschlagen. Als ich zuerst in das Zimmer des Direktors eintrat, dachte ich (wie Naiv ich doch schon immer gewesen bin!), man würde der Sache auf den Grund gehen. Erst als der Direktor wütend über mich herfiel und mir mit diesem oder jenem drohte, erst dann wurde mir klar was hier abging. Ich fing an zu weinen und brach kein Wort mehr heraus, war wie versteinert. Der Besuch dauerte vielleicht 15 Minuten, während denen ich gerade ein einziges Mal versucht habe zu erklären, dass ich geohrfeigt wurde. Danach brachte ich kein einziges Wort mehr raus. Ich sass nur da. Bis er mir sagte, ich solle gehen. Vielleicht ist es aber ein Glück gewesen. Denn, was wäre mir sonst als Alternative geblieben? Ich wäre ihm vielleicht an die Gurgel gesprungen, hätte ich ein anderes Temperament. Doch ich blieb still. Nicht einmal zu Hause sprach ich über den Vorfall, denn (als wäre dies nicht schon genug) war die Lehrerin die mich zum Direktor schickte (zeitweiliger Ersatz für unsere kranke Werks-Lehrerin) eine Bekannte und sogar eine Freundin meiner Mutter! Von ihr aus sollte also der Entscheid kommen, man müsse gegen diesen Jungen der sich über eine eingefangene Ohrfeige beklagte vorgehen. Sie hatte als Erste entschlossen, man müsse diesem Protest einen Riegel setzen. Die Frau war Malerin und Künstlerin. Nicht einmal Künstlern kann man also vertrauen? Sollte ich das aus dieser Geschichte lernen? Ich hoffe wohl nicht. Irgendwie ist auch das mit meiner Mutter und ihren Bekannten vielleicht zum Muster geworden... Wie auch immer. Die zwei Therapeuten, mit denen ich später zu tun hatte, wissen über meinen stark ausgeprägten Gerechtigkeits-Sinn und über mein sehr grosses Bedürfnis nach Freiheit Beschied. Das mit der Freiheit wird später noch erläutern, in Zusammenhang mit der Harten Klinik. Doch dies ist ein anderer Post.


Aber zurück zu Einstein und der Suche nach dem Meister.
Heute ist es für gewisse Menschen schon schwierig zu verstehen, welche Art von Schülern sie sind, geschweige denn dass sie die Möglichkeit hätten, einen geigneten Meister zu finden. Man versucht ja unsere "Meister" zu standardisieren, genau wie man sich standardisierte Schüler wünscht, aber auch Patienten, Versicherte, usw. Ich habe schon mal geschrieben, dass ich das Glück hatte, Marta kennen zu lernen. Ich werde einmal mehr über sie schreiben, denn sie hat mir in verschiedenen Gelegenheiten massgeblich geholfen. Jedenfalls hatte sie Mathe studiert, an der ETH Zürich. Sie interessierte sich für Statistik, für Kryptographie, für Wahrscheinlichkeits-Berechnung und für vieles mehr. Während der Semester-Ferien hatte sie in Genf für ein Quartier-Zentrum gearbeitet, wo sie sich soziale Arbeit für und mit Immigranten leistete. Eine vielseitige Persönlichkeit, also. Jedenfalls wurde mir dank Marta wiederholt klar, wie wichtig doch die Person ist, die einem einen bestimmten Stoff beibringen soll. Mit ihr verstand ich Mathe, ich verstand die Prinzipien von Statistik und Wahrscheinlichkeit. Weil sie sehr gerne darüber sprach, womit sie sich gerade beschäftigte und was sie gerade interessierte, und weil ich ein aufmerksamer und dankender Zuhörer war wenn es um Interessantes ging, habe ich eine ganze Reihe von Abenden damit verbracht, mir Dinge von ihr erklären zu lassen. Sie hatte auch Freude am vermitteln ihres Wissens und so kann ich mir sehr gut vorstellen, dass sie nun zu einem ihr gerechten Beruf gefunden hat. Ich, der die grösste Niete in all diesen Fächern war, beeindruckte sie hin und wieder durch die Leichtigkeit mit der ich ihre Konzepte verstand. Ist das nicht bizarr? Spricht das nicht irgendwie nicht so sehr für die Art von Schule die ich erlebt habe? Immerhin ist sie nicht ein Pausen-Clown, hat sie ihre mündliche Prüfung an der ETH mit 6 bestanden... (6 ist die beste Note in der Schweiz!)

Wenn also die Fähigkeit zu lernen viel mit der Art des Lernens zu tun hat, sollte uns diese doch noch etwas Geld wert sein. Ich meine: Gerade heute, wo wir uns in der Schweiz über den Mangel an spezialisierten Kräften in so vielen Bereichen beklagen, wo wir sie aus dem Ausland holen müssen, sollten wir uns nicht ein wenig mehr darum kümmern, den Nachwuchs zu ermöglichen? Oder wollen wir wirklich absolut alles Outsourcen?

Im Bereich der Ausbildung und der Erziehung hatte ich ein sehr wages Bild der Anthroposophie. Ich dachte, dies könnte eine Alternative, ein ergänzendes Angebot zu der öffentlichen Schule sein, für Jugendliche die darauf ansprechen. Leider musste ich feststellen, dass man dort (meiner Meinung nach) bei Konzepte um 1900 herum stehen geblieben ist, was gewissen Dinge betrifft. Wie gut das Angebot auch sein mag, für einige Jugendlichen, für die Meisten ist es genau so unflexibel wie jede öffentliche Schule. Ich bin wirklich erschrocken als ich hörte, dass man ein Pärchen trennte, das Mädchen sogar von der Schule verwies, weil sie sich ineinander verliebt hatten: Sie sei "seelisch abwesend", wurde der Entscheid begründet. Dies erinnerte mich so ziemlich genau an die Einstellung in der Harten Klinik, was die Junge Dame und mich anging. Wie gut kann eine Institution sein, die junge Menschen auf das Leben vorbereiten sollte, und die grösste Schwierigkeiten damit hat, wenn sich 2 Menschen ineinander verlieben? Das ist so was von Lebensfern...

Die Tatsache, dass unsere heutige Gesellschaft sich als so aufgeklärt gibt, so tolerant, so modern und umfassend informiert, um dann eine überaus schizophrene Beziehung zu Sexualität, Tod, Krankheit, Liebe, usw. zu haben, ist etwas das mich immer wieder aufs Neue verblüfft. Darüber aber ein ander Mal mehr.

Ich weiss nicht was die Lösung für das Problem mit der Erziehung und der Ausbildung ist, habe ich mich ja auch nie damit beschäftigt. Wahrscheinlich gibt es auch keine Lösung, sondern viele verschiedene Lösungen. Ich weiss auch nicht, ob die Schule die mein Sohn erlebt so schlecht ist wie die, die ich erlebt habe. Von dem was ich so mitbekommen haben, muss ich aber sagen, dass ich überhaupt nicht das Gefühl habe. Es scheint mir als gehe man heute besser auf den einzelnen Schüler ein. Es scheint mir als wäre eine bestimmte Härte und Inflexibilität verloren gegangen. Dafür scheint es mir aber auch wieder, dass die Lehrkräfte schon Unglaubliches leisten müssen. Dass sie immer mehr Anforderungen in immer weniger Zeit erfüllen sollten. Und dies kann nichts gutes bedeuten. Wenn in Deutschland schon eine ganze Klinik benötigt wird, um sich einzig und allein um die ausgelaugten Lehrkräfte zu kümmern und schon seit der Gründung nicht die Nachfrage decken kann, dann ist das definitiv kein gutes Zeichen.

Es ist sehr wohl eine politische Floskel zu behaupten, dass die Jugend unsere Zukunft ist. Es wurde aber zur Floskel weil es der Realität entspricht. Wenn man also eine Gesellschaft an der Ausbildung ihrer Jugend messen wollte, wären wir dann in der Schweiz stolz auf unsere Gesellschaft? Oder müssten wir uns fragen, weshalb die Anzahl der Jugendlichen in der Psychiatrie stetig und unaufhörlich am steigen ist?

In China wird uns gerade das "neue Modell" von Erziehung vorgemacht, das auf absoluten Drill ausgerichtet ist. Dort ist die Menge der Jugendlichen derart gewaltig, dass es eigentlich nichts ausmacht, wenn der Verschleiss riesengross ist. Es macht jedenfalls der Partei nichts aus. Wie es die Chinesen schon im Sport machten, zusammen mit den Ost-Deutschen, so machen es jetzt die selben Chinesen mit der Ausbildung. Minderheiten werden im riesigen Reich assimiliert oder unterdrückt: Bei und mit der Ausbildung fängt es an. In den Staaten hingegen ist Ausbildung schon längst eine Frage von Finanzen und Vitamin B. Sollten wir uns nicht unsere eigene Art von Ausbildung, die wir für unsere Kinder wollen, selbst heraussuchen? Sollten wir nicht selber versuchen zu verstehen, was die richtige Art von Schule für uns sein könnte?

Ich bin besorgt über die akademische Welt, die eigentlich genau wie schon vor langer Zeit, eine ziemlich abgeschottete Gesellschaft ist. Möchten diese Menschen denn wirklich nicht etwas dazu beitragen, die Gesellschaft zu verbessern? Möchten sie wirklich, besonders in den Angelsächsischen Ländern, reine Philosophie der Philosophie willens betreiben? Ich, für meinen Teil, denke dass die Welt wie nie zuvor genau auf diese Herrschaften angewiesen ist, die das Wissen eigentlich hätten, um sie nicht vollends abzuschmieren zu lassen. Wenn es nicht die Menschen mit Doktor- und Professor-Titel sind, die Beginnen den anderen unter die Arme zu helfen, wer soll es dann machen? Und dies gilt für jeden Bereich des Lebens. Oder bin ich wieder viel zu Naiv? Sind das Beste, was an Professoren hinaus in die Welt gehen und Einfluss auf die Gesellschaft nehmen möchten, wirklich Doktor Y, Direktor Gebrochene Lanze und DerKleineMikrige MitDerBrilleDa? Ich weigere mich, dies zu glauben!

Whatever... Ich möchte eigentlich nur dafür plädieren, dass man den Schülern, im Laufe ihres Lebens, besonders während der ersten 25 Jahren, mehr Möglichkeiten gibt, ihren ganz bestimmten Meister zu finden. Wie viele vergeudete Talente, mit Medikamenten vollgedröhnt, laufen schon nur in Zürich herum? Wer ist deren Meister wohl gewesen? Was würde Albert Anstein von all dem wohl halten?