November 28, 2010

1. Advent in Irland

 
Es gibt diese interessante Stelle in dem uns überlieferten Leben von Jesus, in dem er die Tische der Händler auf dem Markt umstösst und sie für ihre Moral und ihrem Umgang mit Geld und Gewinn scharf verurteilt. Natürlich hatte diese Geschichte Folgen: Die Händler haben in diesen Bald 2000 Jahren viel dazu gelernt. Heute kann niemand mehr auf den Markt gehen und das Offensichtliche verlauten, das sich niemand zu nennen traut. Heute ist es gut verpackt. Wie ein Weihnachts-Geschenk. Verpackt in Aktien, Hedge-Funds, Gewinn-Beteiligung, Boni, usw. Heute würde Jesus genau wie damals ihr Handeln verurteilen, doch er müsste sich zuerst von Börsen-Spezialisten, Bänker, Wirtschafts-Experten und Wirtschafts-Juristen beraten lassen, um überhaupt eine sinnvolle Aussage machen zu können.

In den letzten Jahrzehnten hatten wir das Glück, Armut als Randerscheinung zu haben, in unserem reichen Europa. Es waren die Unangepassten, die Marginalisierten, die Faulenzer, die von Armut betroffen waren. Ich erinnere mich sehr gut an den Ausdruck der zu meiner Jugendzeit oft zu hören war "Wer wirklich möchte, der verdient sich seine Brötchen." Diese Zeiten sind vorbei. Schleichend traten die "Working-Poors" auf den Plan. Immer mehr. Man betrachtete sie noch als Teil der "quantité négligeable". Obwohl schon die Existenz einer solchen Armut in einer florierenden Wirtschaft ein Schrei der Empörung ausrufen sollte. Nun wird aber immer öfters und mit immer mehr System eine neue Zeit der Armut in Europa eingeführt. Ganz nach dem Vorbild der USA, die dieses Problem nie einigermassen zufriedenstellend lösen konnten — obwohl sie seit Jahrzehnten die Wirtschafts-Macht Nummer 1 auf der Welt sind.

Nun hat die Bevölkerung in Irland, kurz vor der Advents-Zeit, eine ziemlich böse Überraschung erhalten. Grosse Probleme müssen angegangen werden, grosse Änderungen stehen bevor, grosse Sorgen sind in der Luft. Ich möchte jetzt nicht darüber reden, wie sich die Menschen an der Nase herumgeführt fühlen, wo die Regierung über Wochen hinweg behauptet hat, keine Hilfe von der EU zu benötigen um dann, plötzlich, eines Sonntags (wieso werden solchen Ankündigungen so oft an einem Sonntag gemacht?) zu verlauten, die Lage sei ohne Hilfe von Aussen nicht mehr zu retten. Ich möchte nicht darüber reden, wie die Irländische Krise einzig durch die Banken verursacht wurde — zumindest diese jetzige drastische Situation. Ich möchte nicht darüber reden, dass Abertausende von öffentliche Stellen gestrichen werden — ich kann in der Tat überhaupt nicht einschätzen, ob Irland zu viel Staat hat und ob er zu teuer ist. Ich habe nur gehört, wie das erste Massnahmen-Paket aussehen soll. Und wahrscheinlich aussehen wird (?). Und einige Punkte dieses Sparpakets haben mich wirklich verblüfft. Man hat also kurzerhand entschieden, den Mindest-Lohn zu senken!

Ich kann mich ziemlich gut daran erinnern wie Irland vom Auswanderungsland zum Highlight der globalisierten Welt wurde. Wie schnell es plötzlich Bergauf ging, mit diesem "Armenland" Europas. Auf einmal konnte es sein, dass man zum Beispiel mit einem Menschen in Irland sprach, wenn man in der Schweiz einen Kundendienst anrufte. Die Call-Center in Irland erlebten einen Boom sondergleichen. Viele grosse Unternehmen der IT haben sich in Irland niedergelassen. Viele der Unternehmen die sich übrigens in letzter Zeit auch in der Schweiz niederliessen, aus welchen Gründen auch immer. Und dann kam die Zeit der Inder. So schnell wie die Jobs nach Irland wanderten, so schnell — und wenn nicht noch schneller — wanderten sie weiter nach Indien. Und somit ist Irland das perfekte Beispiel der negativen Folgen der Globalisierung ohne Nachhaltigkeit. Einzig ein paar Faktoren wie zum Beispiel die Englische Sprache oder Steuer-Begünstigungen haben das völlige Auswandern von Wissen und Technologien verhindern können.

Und nun sieht man keinen anderen Ausweg aus der Misere, als den Mindest-Lohn zu senken... Denn, Eines haben alle Sanierungspläne der verschiedenen Staaten gemeinsam: Die Angstmache betreffend das Auswandern von reichen Menschen und profitabler Unternehmen. So kommt es, dass das dringend nötige Geld von "unten" geschöpft werden muss. Ja nicht "oben" etwas ändern! Ja nicht die Crème abgiessen wollen! Sie könnte ja auf die Idee kommen, sich zu Doppelrahm-Käse verarbeiten zu lassen. Sie könnte auf die Idee kommen, nicht mehr zusammen mit der Milch in einem Kessel bleiben zu wollen. Doch bei all dieser Angstmacherei vergisst man eines: Ohne Milch gibt es auch keinen Rahm!

Es ist also völliger Blödsinn, wen man uns weismachen möchte, dass der Rahm einfach so abziehen könnte, zu der nächsten Milch. Ich meine: Wie viele Irland, Indien, China gibt es denn noch auf der Welt? Die Globalisierung beginnt vielleicht schon an ihre Grenzen zu stossen. An ihre erste Grenzen. Weitere werden folgen. Und dann? Beginnt dann ein neues Spiel? Anstatt neue Länder anzupeilen, wird man dann mit einer Art Karussell beginnen? Alle 10 Jahre ein Land, bis es zu teuer wird? Dann zieht man weiter zum Nächsten — das auch das Vor-Vor-Letzte war — dass nun wieder dermassen den Bach ab ging, dass es sich wieder lohnt an dessen "Wieder-Aufbau" mitzuwirken? Wie auch immer... Die "Crème" wird immer genügend Kreativität haben, um neue Wege zu finden, das ist klar. Doch ganz ohne Milch wird sie nie auskommen, wie sehr man uns auch diese Angst vorspielt.

Und dieses Spiel geht so lange gut, wie sich die Menschen bereit erklären, es mitzuspielen. Wenn plötzlich das Studium nur noch für ganz Reiche oder ganz Arme (mit Stipendien) möglich sein wird, wenn sich ein junger Mensch aus dem Mittelstand kein Studium mehr erlauben kann ohne derart verschuldet zu sein, dass er ziemlich sicher ausgebrannt sein wird bevor er seine Schuld begleichen konnte, dann nimmt das Problem ganz andere Dimensionen an. Dann wird eine ganze Generation von Menschen heranwachsen, die das Spiel eventuell gar nicht mehr mitspielen will. Gerade habe ich von diesem Typen gehört, der die Menschen dazu aufruft, all ihr Geld von der Bank zu nehmen, an einem bestimmten Tag. Und ich muss sagen, dass ich mir gerade in den letzten Tagen ähnliche Gedanken machte. Ich fragte mich zum Beispiel was wäre, wenn einmal alle Menschen in Europa das Leben für 3 Tage still legen würden. Wenn rein gar nichts mehr funktionieren würde. Aber wirklich nichts. Wenn keiner, der nicht wirklich Freude an seinem Job und darin aufgeht, nicht zur Arbeit erscheinen würde. Wenn nur die wirklich lebenswichtigen Aktivitäten aufrecht erhalten blieben und sonst nichts. Wenn kein Reicher, für kein Geld der Welt, von A nach B fliegen könnte. Oder im Hotel ein-checken. Oder sich massieren lassen. Oder an der Börse investieren. Oder Waren verkaufen. Was dann? Was wäre, wenn das Volk einmal auf diese Weise den Tarif durchgeben würde? Um dann zu fragen "Habt ihr jetzt verstanden? Nun können wir beginnen, darüber zu diskutieren, wie wir uns organisieren möchten." Das ist sicher der Traum eines jeden Gewerkschaftlers... Doch ich denke, demnächst könnte es nicht mehr um die Lohn-Erhöhung ende Jahr gehen.

Es könnte darum gehen, dass die Menschen die Tische der Händler umstossen möchten. So wie es Jesus tat. Und wäre es nicht ein wunderbares Advent, wenn sich Politik und Wirtschaft bewusst würden, dass man nicht den Mindest-Lohn anfassen darf? Wäre es nicht eines der schönsten Advente, wenn sich die Händler bewusst würden, dass sie so nicht weiter machen können? Dass sie auch an den kleiner werdenden Gewinn-Margen Teil haben müssen? Wäre das nicht ein Advent im Sinne Jesus?